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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Betrachter
nicht den Eindruck eines Bildes, sondern den der Wirklichkeit erwecke, und
folglich habe einer, der unser Werk betrachte, den Eindruck, er müsse es
anbeten wie die Bilder in der Kirche. Und er soll gesagt haben, nicht nur habe
die Perspektive das Bild vom Blickwinkel Allahs entfernt und auf den eines
Straßenköters erniedrigt, sondern darüber hinaus würden wir durch die Anwendung
der Methoden fränkischer Meister, durch die Vermischung unseres eigenen
Wissens, unseres eigenen Könnens mit dem Können und den Methoden der Ungläubigen
unsere Reinheit verlieren, und das sei eine satanische Verführung, die uns zu
ihren Sklaven machen werde.«
    »Es gibt nichts Reines«, erklärte
der Oheim Efendi. »Wann immer in der Illustration, im Bild Wunder geschaffen
werden, wann immer in einer Buchmalerwerkstatt etwas Schönes entsteht, das mir
die Augen feucht werden und die Haare zu Berge stehn läßt, weiß ich, daß sich
dort zwei verschiedene, bis dahin einander fremde Dinge vereint und ein neues
Wunder hervorgebracht haben. Die Schönheit der Bilder Behzats und die der
ganzen persischen Malerei verdanken wir nur der Vermischung arabischer und mongolisch-chinesischer
Bilder. Die schönsten Werke von Schah Tahmasp haben den persischen Stil mit
turkmenischer Empfindsamkeit vereint. Wenn heutzutage immer wieder von den
Buchmalerwerkstätten des Chan Akbar in Indien gesprochen wird, dann nur, weil
er seine Illustratoren angeregt hat, den Stil der fränkischen Altmeister zu
übernehmen. Allahs ist der Osten wie der Westen. Allah bewahre uns vor dem
Wunsch, rein und unvermischt zu sein.«
    Wie weich und hell auch sein Gesicht
im Kerzenlicht erschien, so dunkel und beängstigend war sein Schatten an der
Wand. Obwohl ich alles, was er sagte, sehr vernünftig und richtig fand, konnte
ich ihm nicht glauben. Und weil ich meinte, er verdächtige mich, zweifelte ich
auch an ihm und spürte, daß er ab und zu auf ein Geräusch vom Hoftor lauschte
und auf jemanden wartete, der ihn von mir befreien würde.
    »Du hast mir erzählt, wie der Musavvir Scheich Mohammed von Isfahan mit der riesengroßen Bibliothek auch sich
selbst in qualvoller Reue verbrannte, weil sie seine von ihm verworfenen Bilder
enthielt«, sagte er. »Nun werde ich dir einen anderen lehrreichen Teil dieser
Legende erzählen. Ja, der Künstler hat in den letzten dreißig Jahren seines
Lebens nach den eigenen Bildern gesucht. Doch mehr noch als diese fand er in
den Büchern, die er durchblätterte, von seiner Kunst inspirierte Nachahmungen.
Er sah in den folgenden Jahren, daß sich zwei Generationen von Malern jene von
ihm verworfenen Bilder als Vorbilder angeeignet und ins Gedächtnis
eingeschrieben hatten, daß sie über das Auswendiglernen hinaus zu einem
Bestandteil ihrer Seelen geworden waren. Während Scheich Mohammed nach seinen
Bildern suchte, um sie zu zerstören, wurde ihm klar, daß die jungen
Illustratoren diese in vielen Büchern bewundernd kopiert, sie zur Illustration
anderer Geschichten benutzt, in jedermanns Gedächtnis eingeprägt und in der
ganzen Welt verbreitet hatten. Wenn wir jahrelang Buch um Buch und Bild um Bild
betrachten, dann begreifen wir, daß ein guter Malkünstler sich mit seinen
Wunderwerken nicht nur einen Platz in unserem Verstand erobert, sondern
schließlich auch die Landschaften unseres Gedächtnisses verändert. Und wenn
das Talent und die Bilder eines Illustrators erst einmal so tief in unsere
Seele eingegraben wurden, dann werden sie zum Kriterium für die Schönheit des
ganzen Universums. Der Bilderschaffende von Isfahan wurde am Ende seines Lebens
nicht nur Zeuge der Vermehrung seiner Bilder, während er sie selbst
vernichtete, sondern er begriff auch, das jeder die Welt so sah, wie er sie
einst gesehen hatte, und alles, was nicht seinen in der Jugend gemalten Bildern
entsprach, nunmehr als häßlich betrachtet wurde.«
    Ich konnte meine immer stärker
werdende Bewunderung für den Oheim Efendi und meinen Wunsch, ihm zu gefallen,
nicht länger im Zaum halten und sank vor ihm auf die Knie. Während ich seine
Hände küßte, stieg mir das Wasser in die Augen, und mein Herz sagte mir, daß
ich ihm dort den Platz von Altmeister Osman eingeräumt hatte.
    »Der Illustrator«, sagte der Oheim
Efendi selbstgefällig, »schafft das Bild seinem Gewissen gehorchend, den Regeln
seiner Überzeugung gemäß und ohne sich vor etwas zu fürchten. Was seine
Feinde, irgendwelche Frömmler oder Neider sagen, ist ihm

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