Pamuk, Orhan
jenem
Illustrator beschieden sein können, der in seiner Begeisterung für das Bild
nicht merkt, wie er sich vom Glauben entfernt. Und ich erinnerte daran, daß
Scheich Mohammed die großartige Bibliothek von Kazvin in jener Zeit, als der
Kronprinz Abbas Mirza dort als Wali amtierte, allein aus dem Grund in Brand
setzte, weil sie Hunderte von seiner Hand illustrierte Bücher enthielt, die er
nicht alle einzeln unter den anderen herausfinden konnte. Und ich schilderte
auf übertriebene Weise, wie der Illustrator in dem furchtbaren Feuer unter Reue
und Schmerzen verbrannte, als hätte ich seinen Tod selbst erlebt.
»Fürchtest du dich, mein Sohn, vor
den Bildern, die wir gemalt haben?« fragte mich der Oheim Efendi liebevoll.
Es war jetzt so dunkel im Zimmer,
daß ich nicht sehen, sondern nur ahnen konnte, daß er mir diese Frage lächelnd
gestellt hatte.
»Unser Buch ist kein Geheimnis
mehr«, sagte ich. »Das mag nicht so wichtig sein. Doch überall schwirren
Gerüchte herum. Man sagt, wir würden insgeheim unseren Glauben beschimpfen. Es
heißt auch, wir hätten hier kein Buch nach den Wünschen und Erwartungen
unseres verehrten Padischahs angefertigt, sondern eins zu unserem eigenen
Vergnügen, ja ein Buch, das unseren hochverehrten Padischah verspottet, das
ketzerisch ist, Allah verleugnet und die Meister der Ungläubigen imitiert.
Manche sagen, unser Buch stelle selbst den Satan auf eine freundliche Weise
dar. Es wird behauptet, wir würden die Welt perspektivisch aus dem Blickwinkel
eines dreckigen Straßenköters betrachten, eine Pferdebremse und eine Moschee – unter dem Vorwand, sie stehe weiter entfernt – in derselben Größe malen und
damit unseren Glauben lästern und die frommen Moscheegänger verspotten. Ich
denke in den Nächten darüber nach und kann nicht schlafen.«
»Wir haben die Bilder gemeinsam
gemalt«, sagte der Oheim Efendi. »Abgesehen davon, daß wir's nicht taten,
hätten wir jemals auch nur im Traum daran gedacht?«
»Allah bewahre!« rief ich
übertrieben betont aus. »Doch woher sie's auch erfahren haben mögen – es gebe
ein letztes Bild, heißt es, das nicht einmal auf verhüllte Weise Ketzerei,
sondern ganz offene Lästerung sei.«
»Du hast das letzte Bild gesehen.«
»Ich habe auf Eure Anweisung in
verschiedene Ecken eines großen, für zwei Seiten bestimmten Blattes Bilder auf
die von Euch gewünschte Art und Weise gemalt«, sagte ich vorsichtig und bestimmt
und hoffte, der Oheim Efendi würde es zu schätzen wissen. »Doch habe ich nicht
das ganze Bild gesehen. Wenn ich es gesehen hätte, würden all diese ekelhaften
Verleumdungen widerlegt, und mein Gewissen wäre wieder rein.«
»Welchen Grund hast du, dich
schuldig zu fühlen?« fragte er. »Was nagt an deiner Seele? Wer hat dich dazu
gebracht, an dir selbst zu zweifeln?«
»Wenn der Mensch an einem Buch, das
er monatelang glücklich und zufrieden illustriert hat, zu zweifeln beginnt,
weil es womöglich Dinge angreift, die ihm heilig sind, dann leidet er
Höllenqualen. Hätte ich doch dieses letzte Bild ganz und gar sehen können!«
»Ist das dein ganzer Kummer?« fragte
er. »Bist du deswegen hergekommen?«
Plötzlich geriet ich in Panik. War
es möglich, daß er vielleicht auf den gräßlichen Gedanken kam, ich könnte den
armen Fein Efendi umgebracht haben?
Ich sagte: »Auch diejenigen, die
unseren Padischah entthronen und den Kronprinzen an seine Stelle setzen
möchten, schließen sich diesen Verleumdungen an und verbreiten, daß unser
Herrscher dieses Buch heimlich unterstütze.«
»Und wie viele Leute glauben daran?«
fragte er müde. »Jeder ehrgeizige Prediger, der ein wenig Beachtung findet und
dem das zu Kopf steigt, beginnt zu erzählen, der Glaube gehe verloren. Das ist
der sicherste Broterwerb.«
Dachte er womöglich, ich sei nur
hierhergekommen, um ihm dieses Gerede mitzuteilen?
»Der arme verblichene Fein Efendi«,
sagte ich mit bebender Stimme. »Angeblich hat er jenes letzte Bild als Ganzes
gesehen und begriffen, daß es den Glauben lästert, und deswegen sollen wir ihn
umgebracht haben. Das hat mir ein Truppführer, den ich gut kenne, in der
Buchmalerwerkstatt erzählt. Ihr wißt, wie die Lehrlinge und Gesellen sind, sie
verbreiten Gerüchte.«
Von diesem Gedanken ausgehend,
sprach ich, zunehmend erregt, noch längere Zeit darüber. Wieviel von dem, was
ich sagte, selbst Gehörtes, wieviel davon aus Furcht erfunden war, nachdem ich
jenen gemeinen Verleumder erledigt hatte, und wieviel ich
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