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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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schaute ihm
in die Augen. Sein Blick zeigte mir, daß er, während er mit mir sprach, jene
bisher stets beachteten guten Manieren gänzlich abgelegt hatte und sich
einfach davontreiben ließ. Aber wohin?
    »Keine Angst, ich werde dir meinen
Respekt nicht versagen«, erklärte er und lachte laut heraus, während er um
mich herumging und sich vor mich stellte, doch sein Lachen hatte einen bitteren
Klang. »Selbst jetzt, während ich etwas tue, scheint es ein anderer zu sein,
der es tut, nicht ich. Als ob sich ständig etwas in mir regte und mich zu all
meinen schlechten Taten veranlaßte. Doch ich bedarf seiner sehr. Auch für das
Illustrieren.«
    »All das ist nur Altweibergeschwätz
über den Satan.«
    »Soll das heißen, ich lüge?«
    Er hatte nicht genügend Mut, um mich
zu töten, und deshalb wollte er, daß ich ihn reizte, das merkte ich. »Du lügst
nicht, aber du kannst nicht das erkennen, was du in deinem Innern spürst.«
    »Nein, ich erkenne sehr gut, was in
mir ist. Ich fühle mich wie lebendig begraben. Deinetwegen sind wir, ohne es
zu merken, bis zum Hals in Sünde verstrickt. Und jetzt sagst du zu mir, ich
soll mutiger sein. Deinetwegen bin ich zum Mörder geworden. Die tollwütigen
Hunde des Nusret Hodscha werden uns alle umbringen.«
    Je weniger er an seine Worte
glaubte, desto lauter sprach er, desto wütender umfaßte seine Hand das
Tintenfaß. Ob wohl jemand, der auf der verschneiten Straße vorbeiging, sein
Geschrei hören und hereinkommen würde?
    »Wie ergab es sich, daß du ihn
getötet hast?« fragte ich weniger aus Neugier als vielmehr, um Zeit zu
gewinnen. »Wie habt ihr euch an dem Brunnen getroffen?«
    »Fein Efendi suchte mich auf in der
Nacht, nachdem ich dich verlassen hatte«, sagte er unerwartet mitteilsam. »Er
habe, so sagte er, das letzte, zweiseitige Bild gesehen. Ich habe ihm noch und
noch zugeredet, kein großes Geschrei zu machen, habe ihn zu der alten
Brandstätte geführt und gesagt, am Brunnen sei Geld vergraben. Das Wort Geld
hat ihn überzeugt. Einen besseren Beweis dafür, daß der Illustrator für Geld
arbeitet, kann es nicht geben. Der kunstfertige Mann war nur ein ganz
gewöhnlicher Illustrator, deshalb bedaure ich nichts. Er war bereit, die
vereiste Erde mit den Nägeln aufzukratzen. Wäre dort beim Brunnen tatsächlich
Geld vergraben gewesen, hätte ich ihn nicht umbringen müssen. Du hast dir einen
elenden Kerl für das Ornamentieren ausgesucht. Er hatte eine sichere Hand, der
Verblichene, doch seine Ornamente, die Wahl der Farben und ihre Anwendung sind
gewöhnlich gewesen. Ich habe keine Spuren hinterlassen. Jetzt sage mir, was ist
das eigentlich, was man Stil nennt? Heutzutage reden die Fränkischen und auch
die Chinesen von der Farbe, vom Stil, wo es um die Kunstfertigkeit des Malers
geht. Soll der gute Illustrator zum Unterschied von den anderen einen eigenen
Stil haben oder nicht?«
    »Keine Sorge, ein neuer Stil
entsteht nicht einfach aus dem Herzenswunsch eines Illustrators heraus«, sagte
ich. »Ein Prinz stirbt, ein Schah verliert seine Kriege, eine Epoche, die man
für unendlich hielt, geht zu Ende, eine Buchmalerwerkstatt wird geschlossen,
ihre Illustratoren werden zerstreut und suchen sich eine neue Heimat, andere
Schirmherrn, die Bücher lieben. Eines Tages ruft ein Padischah diese
heimatlosen, so verwirrten wie begabten Illustratoren und Kalligraphen, sagen
wir, aus Herat oder Aleppo, liebenswürdig in sein Zelt, in seinem Palast
zusammen und gründet mit ihnen seine eigene Buchmalerwerkstatt. Wenn auch jeder
der nicht aneinander gewöhnten Künstler erst einmal auf seine eigene, ihm vertraute
Art und Weise malt, so wird es genauso wie bei den Kindern auf der Straße, die
mit Ach und Krach irgendwann Freunde werden, später unter ihnen eine
Auseinandersetzung, eine Abrechnung und eine Anpassung geben. Was zum Schluß
nach Jahren voller Streit, Eifersucht und Intrigen, nach dem Experimentieren
mit Farben und Illustrationsarten herauskommt, ist ein neuer Stil. Und meistens
ist es der alle überragende, talentierteste Buchmaler einer Werkstatt, der
diesen Stil hervorbringt. Wir können ihn auch den Günstling des Schicksals
nennen. Den übrigen Illustratoren fällt die Aufgabe zu, diesen Stil
unaufhörlich zu kopieren, vollkommener zu machen, ja ihn zum Glänzen zu
bringen.«
    Er blickte mir nicht direkt in die
Augen, bebte fast wie ein junges Mädchen und fragte, als erhoffe er sich
Ehrlichkeit und Güte von mir, so sanft, wie ich es nie von ihm erwartet

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