Pamuk, Orhan
vertraut waren, nicht im geringsten kannte. Und
ich spürte es im Nacken, daß er noch immer mit dem Fäßchen in der Hand dicht
hinter mir stand, doch ich wandte nicht den Kopf, um ihn anzuschauen. Ich
wußte, wie sehr ihn das Schweigen beunruhigte, also sagte ich: »Die Hunde
jaulen immer noch.«
Dann schwiegen wir wieder. Diesmal
lag es ganz bei mir, an dieser gefährlichen Klippe vorbeizusteuern und meinem
Tod zu entrinnen, es kam nur darauf an, was ich ihm sagen würde. Das einzige,
was ich von ihm außer seinem Talent in der Malkunst kannte, war seine Klugheit.
Das ist, falls ihr daran glaubt, daß der Illustrator sich selbst und seine
Seele niemals in seinem Werk offenbaren dürfe, eine Sache, auf die man stolz
sein kann. Nun gut, wie aber hatte er mich in dem leeren Haus in die Enge
treiben können? Die Gedanken überstürzten sich in meinem alten Kopf und liefen
dabei so durcheinander, daß ich keinen Ausweg sah aus dem Spiel. Wo blieb nur Şeküre
?
»Du hast doch längst begriffen, daß
ich ihn umgebracht habe, nicht wahr?« fragte er.
Ich hatte es nicht begriffen, nicht,
bis er es mir sagte. Außerdem tauchte jetzt irgendwo in meinem Gehirn der
Gedanke auf, daß er mit dem Mord an Fein Efendi etwas Gutes getan haben könnte,
weil der selige Meister im Ornamentieren vielleicht tatsächlich nach und nach
in Panik geraten war und uns alle in Schwierigkeiten gebracht hätte.
So empfand ich allmählich eine
gewisse Dankbarkeit für diesen Mörder, mit dem ich allein im Haus geblieben
war.
»Es wundert mich nicht, daß du ihn
umgebracht hast«, sagte ich. »Menschen wie wir, die mit den Büchern leben,
deren Seiten unsere Träume durchdringen, fürchten sich stets vor irgend etwas
in dieser Umgebung. Zudem beschäftigen wir uns in der Stadt der Moslems mit dem
Bild, einer Sache, die noch sträflicher, noch gefährlicher ist. So wie es dem Musavvir Scheich Mohammed von Isfahan erging, wird jeder Illustrator von
Schuldgefühlen und Reue zur Selbstbezichtigung getrieben und spürt den starken
Drang, Allah und die Gemeinde um Vergebung anzuflehen. Wir fertigen unsere
Bücher heimlich wie Schuldige an, und zumeist auch wie um Verzeihung bittend.
Ich weiß nur allzugut, was es bedeutet, schon im voraus den Nacken zu beugen
vor den Angriffen der Hodschas, Prediger, Kadis und Scheichs, die uns des
Unglaubens bezichtigen werden, kenne dieses nimmer endende Schuldgefühl, das
die Phantasie des Illustrators sowohl tötet als auch ernährt.«
»Das heißt, du machst es mir nicht
zum Vorwurf, daß ich den Holzkopf Fein Efendi beseitigt habe?«
»Was uns anzieht in der Schrift, im
Bild, in der Illustration, ist in dieser Furcht enthalten. Nicht nur Geld und
Gunst sind der Grund dafür, daß wir uns von morgens bis abends und des Nachts
bei Kerzenlicht auf den Knien hockend den Bildern und den Büchern widmen, bis
wir blind werden, es ist auch die Flucht vor der lärmenden Menge der anderen
Menschen, vor der Gemeinde. Doch wir erwarten als Entgelt für diese
Leidenschaft, daß jene Menschen, deren Gesellschaft wir meiden, das Ergebnis
unserer Inspiration anschauen und würdigen. Und wenn sie uns des Unglaubens
bezichtigen, was dann? Welch eine Pein bereitet dies dem talentierten Musavvir! Wo sich doch das wahre Bild gerade in dem verbirgt, was noch nie gesehen,
noch nie ausgeführt wurde! In jenem Bild, das jedermann im ersten Augenblick
als schlecht, nicht gelungen und gottlos bezeichnen wird. Der wahre Illustrator
weiß, daß er sich dorthin begeben muß, und fürchtet sich zugleich vor der
Einsamkeit jenes Ortes. Wer aber kann schon ein ganzes Leben lang diese
Spannung und Furcht ertragen? Der Illustrator glaubt, er könne sich von seinen
jahrealten Ängsten befreien, indem er sich selbst bezichtigt, bevor es die
anderen tun. Man glaubt ihm nur, wenn er seine Schuld ein gesteht, und
verbrennt ihn dann. Der Illustrator aus Isfahan hat diese Aufgabe selbst
übernommen.«
»Du bist kein Illustrator«, sagte
er, »und ich habe ihn nicht umgebracht, weil ich mich fürchtete.«
»Du hast ihn umgebracht, weil du
ohne Furcht malen wolltest, wie es dir gefiel.«
Und zum erstenmal nach langer Zeit
sagte jener Buchmaler, der mein Mörder sein wollte, etwas sehr Kluges: »Ich
weiß, daß du dies alles vorbringst, um mich aufzuhalten und zu überreden, um
dich aus dieser Klemme zu ziehen.« Er fügte hinzu: »Doch was du zuletzt gesagt
hast, ist richtig. Ich will, daß du folgendes verstehst. Höre!«
Ich wandte mich um und
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