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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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tragen dürfen – er war's, der Schatzmeister des Sultans. Die Bilder, die
ich dem Sekretär ausgehändigt hatte, lagen vor seinen Augen auf einem
Buchständer. Mir war so ängstlich zumute, als hätte ich sie selbst gemalt. Ich
küßte seinen Rocksaum.
    Er sagte: »Habe ich richtig gehört,
mein Sohn, dein Oheim ist verstorben?«
    War es die Aufregung oder das
Schuldgefühl – ich konnte plötzlich keine Antwort geben und das nur mit einem
Kopfnicken bestätigen. Zugleich geschah etwas Unerwartetes: Eine Träne rann
mir aus dem Auge und rollte langsam unter dem staunenden und doch
verständnisvollen Blick des Schatzmeisters über meine Wange herab. Daß er sich
von der Seite des Padischahs erhoben hatte und kam, um mit mir zu reden, und
ich unserem Herrscher so nah sein durfte – all das hatte mich tief berührt und
überwältigt. Weitere Tränen rannen aus meinen Augen, sie liefen mir nun wie
Wasser herunter, und ich schämte mich nicht einmal.
    »Weine, soviel du magst, mein Sohn«,
sagte der Schatzmeister.
    Ich weinte und schluchzte heftig;
und hatte doch geglaubt, während der letzten zwölf Jahre älter und reifer
geworden zu sein. Wenn aber der Mensch seinem Sultan, dem Herzen seines
Staates, so nahe kommt, dann begreift er sogleich, daß er nichts als ein Kind
ist. Es war mir auch gleichgültig, daß die Silberschmiede und Samtmeister
draußen mein Geschluchze hörten: Mir war jetzt klar, daß ich dem Schatzmeister
alles erzählen würde.
    So schilderte ich ihm das Ganze,
wie's mir aus dem Herzen kam. Je mehr ich sah, wie meine Heirat mit Şeküre,
die Schwierigkeiten mit dem Buch des Oheims, die Rätsel der Bilder vor uns,
Hasans Drohungen und die Leiche des Oheims vor den Augen des Schatzmeisters
auferstanden, desto leichter wurde mir. Ich erzählte alles, denn ich spürte,
daß ich aus der Falle, in der ich steckte, nur dann befreit werden konnte, wenn
ich mich der unendlichen Gerechtigkeit und Güte unseres Padischahs, des
Schirmherrn der Welt, unterwarf. Würde mich der Schatzmeister des Großherrn
verstehen und meine Geschichten unserem Sultan, dem Fundament des Universums,
richtig weitergeben, bevor er mich den Folterern und Henkern auslieferte?
    »Der Tod des Oheim Efendi ist der
Buchmalerwerkstatt unverzüglich mitzuteilen«, erklärte der Schatzmeister. »Die
gesamte Abteilung der Illustratoren soll an der Bestattungsfeier teilnehmen.«
    Er schaute mich fragend an, ob ich
wohl einen Einwand haben würde. Diese Aufmerksamkeit stärkte mein Vertrauen, so
daß ich meine Vermutungen über das Wer und Warum des Mordes an meinem Oheim
und dem Illuminator Fein Efendi zum Ausdruck brachte. Ich spielte auf die Leute
des Erzurumer Predigers an, auf jene, die über Sektenhäuser herfielen, weil
dort musiziert und wild getanzt würde. Als ich den argwöhnischen Blick des
Schatzmeisters bemerkte, wollte ich auch meinen letzten Argwohn mit ihm teilen
und ließ ihn wissen, daß Wettstreit und Eifersucht unter den Altmeistern der
Illustratorentruppe sowohl des Geldes wie auch der Ehre wegen nicht zu
vermeiden gewesen waren, als man den Oheim mit der Aufgabe betraute, für die
Bilder und die Ausschmückung des Buches zu sorgen. Schon die Geheimhaltung der
Arbeit allein könnte all diesen Haß, diese Rachsucht und einige Intrigen ins
Rollen gebracht haben, sagte ich. Doch während ich sprach, ließ mich die Angst
nicht los, daß der Schatzmeister irgendwie an mir zweifelte, genauso wie ihr
jetzt. O Allah, möge doch alles verstanden werden, wie es wirklich war, weiter
will ich nichts von Dir erflehen!
    Schweigen trat ein. Der
Schatzmeister des Großherrn wandte die Augen von mir ab, als schäme er sich an
meiner Statt für mein Geschick und meine Worte, und kehrte sie wieder den
Bildern auf dem Buchständer zu.
    »Es sind neun Stück«, sagte er. »Es
wurde aber ein Buch mit zehn Bildern vereinbart. Der Oheim hat von uns viel
mehr Goldblatt genommen, als für diese Bilder verwendet wurde.«
    »Der grausame Mörder muß das mit
viel Goldfluß bedeckte letzte Bild aus dem leeren Haus gestohlen haben«, sagte
ich.
    »Wir konnten nie erfahren, wer der
Kalligraph ist.«
    »Mein seliger Oheim hatte den Text
für das Buch noch nicht beendet. Er erwartete meine Hilfe, um ihn zu Ende zu
bringen.«
    »Du sagst doch, mein Sohn, du seist
erst neuerdings nach Istanbul zurückgekehrt!«
    »Ich bin vor einer Woche, drei Tage
nach dem Mord an Fein Efendi, wieder in Istanbul eingetroffen.«
    »Dein Oheim Efendi ist also seit
einem

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