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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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so
oft bildhaft beschrieben hatte, lag jetzt dem Paradiese gleich als ein bunter,
wunderschöner Garten vor mir. Doch ich empfand nicht das Glück dessen, der ins
Paradies eingeht, sondern Furcht und Demut, und begriff sehr wohl, daß unser
Padischah das Fundament des Universums und ich nur ein ganz einfacher Untertan
war. Während ich die im Grünen umherstolziernden Pfauen, die mit Ketten an
üppig plätschernden Brunnen hängenden Goldbecher und die Tschausche des Diwans in
ihren Seidengewändern bestaunte, die lautlos über dem Boden zu schweben
schienen, durchströmte mich das Hochgefühl, dem Großen Herrscher dienen zu
können. Ich mußte das geheime Buch, dessen halbfertige Bilder ich unter dem Arm
trug, unbedingt für unseren Sultan vollenden. Meine Augen auf den Turm des
Diwans gerichtet, der aus dieser Nähe betrachtet weniger Bewunderung als Furcht
einflößte, lief ich hinter dem Nadelkünstler her, ohne recht zu wissen, was ich
tat.
    Mit einem Pagen im Gefolge
durchquerten wir in alptraumhafter Angst und ohne einen Laut den Saal des
Großherrlichen Diwans und das Gebäude des äußeren Schatzamtes. Ich hatte
währenddessen das Gefühl, ich sei früher schon hier gewesen und kennte mich
aus.
    Durch eine weite Tür betraten wir
den Raum, der Alter Diwansaal genannt wurde. Unter der großen Kuppel sah ich
Meister, die mit Stoffen, Lederstücken, silbernen Säbelscheiden oder Truhen mit
Perlmuttereinlagen in den Händen warteten. Sofort war mir klar, daß sie als
Meister für Morgensterne, Stiefel, Silberzeug und Samt, als Elfenbeinschnitzer
und Instrumentenmacher arbeiteten und zur Abteilung der Kunsthandwerker unseres
Padischahs gehörten. Sie warteten alle aus verschiedenen Gründen vor der Tür
des Ersten Schatzmeisters, sei es wegen einer Tagesabrechnung, einer
Materialbeschaffung oder auch einer Erlaubnis, im Enderun, dem Innersten des
Palastes, ein Maß zu nehmen. Ich war sehr froh darüber, unter den Wartenden
keinen Illustrator zu sehen.
    Auch wir zogen uns an den Rand zurück
und begannen zu warten. Hin und wieder hörte man die lauter werdende Stimme
des Sekretärs aus dem Zimmer des Schatzamtes, der ein Wort wiederholen ließ,
weil in der Rechnung ein Fehler war, dann vernahmen wir die Stimme eines
Schlossermeisters, der ihm höflich Rede und Antwort stand. Nur selten gingen
die Stimmen über ein Flüstern hinaus, das Flügelschlagen der durch den Hof
flatternden Tauben hallte in der Kuppel wider und war lauter zu hören als
unsere, der Handwerkskünstler, Beschwerden über Geld und Material.
    Als ich an der Reihe war und das
kleine Kuppelzimmer des Schatzmeisters des Großherrn betrat, fand ich dort nur
einen Sekretär vor. Ich erklärte, es gehe um eine sehr wichtige Angelegenheit,
die ich dem Schatzmeister sofort unterbreiten müsse, ein von unserem Padischah
bestelltes Buch, auf das er sehr großen Wert lege, sei unvollendet geblieben.
Der näselnde Sekretär hatte etwas geahnt, die Augen geöffnet, und ich hatte ihm
die Bilder gezeigt. Als ich sah, daß ihn die merkwürdigen, wahrhaft erstaunlichen
Bilder verwirrten, nannte ich den Namen, den Beinamen und die Funktion des
Oheims und fügte hinzu, er sei dieser Bilder wegen gestorben. All dies brachte
ich äußerst rasch hervor. Denn ich wußte sehr wohl, wenn ich aus dem Saray
zurückkehrte, ohne in die Nähe unseres Sultans zu gelangen, würde man mir die
Schuld an dieser für meinen Oheim so prekären Lage zuschieben.
    Nachdem der Sekretär gegangen war,
um den Schatzmeister des Großherrn zu unterrichten, lief mir der kalte Schweiß
herunter. Warum sollte er sich, von dem ich durch den Oheim wußte, daß er
unserem Sultan nie von der Seite wich, manchmal für ihn den Gebetsteppich
ausbreitete, manchmal sein Vertrauter war, ausgerechnet meinetwegen aus dem
Enderun herbemühen? Auch konnte ich fast nicht glauben, daß man einen Boten in
das Herz des Palastes entsenden würde. Wo hielt sich unser hochverehrter
Padischah wohl auf, war er in einen der Kioske am Ufer hinuntergegangen, war er
im Harem und war sein Schatzmeister bei ihm?
    Lange Zeit später wurde ich
hereingerufen, was mich so überraschte, daß ich sogar das Fürchten vergaß.
Doch als ich auf dem Gesicht des Samtmeisters an der Tür den Ausdruck von
Achtung und Erstaunen sah, geriet ich in Panik. Bei meinem Eintritt war ich so
verängstigt, daß ich meinte, überhaupt nichts herausbringen zu können. Er trug
den Telli Serpu ş , diese Kopfbedeckung, die nur er und die
Wesire

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