Pamuk, Orhan
mit seiner riesigen Kuppel und dem weiten Hof, wie sie typisch waren für
die prächtigen, neuerrichteten Moscheen. Und wie auch oft anderwärts zu sehen,
hatte der Imam seine Heimstatt von dem kleinen dunklen Mauseloch auf die ganze
Moschee ausgedehnt und nichts dagegen gehabt, daß seine Frau ihre verblichene
Wäsche zwischen den beiden Kastanienbäumen am Ende des Hofes aufhängte. Zwei
unverschämte Hunde, die genau wie die Familie des Imams den Hof der Moschee
als ihren Besitz betrachteten und mich anfielen, wurden von den Söhnen mit
Stöcken verjagt. Nachdem ich den einen wie den anderen entkommen war, zog ich
mich mit dem Imam in einen Winkel des Hofes zurück.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht
besagte: »Nanu, was gibt es nun schon wieder?« und verriet mir deutlich seinen
Ärger darüber, daß wir ihn nach der Scheidungssache gestern nicht auch mit der
Trauung beauftragt hatten.
»Der Oheim Efendi ist heute früh
gestorben.«
»Allah nehme ihn in seiner Gnade
auf, das Paradies sei ihm gewährt!« sagte er wohlwollend. Warum hatte ich
dieses »heute früh« hinzugefügt und mich einem unnötigen Verdacht ausgesetzt?
Ich steckte ihm noch einmal ein Goldstück zu. Er möge vor dem Ruf zum
Mittagsgebet die Salâ zum Leichenbegängnis singen und seinen Bruder
sogleich als Ausrufer in das Viertel schicken, um das Hinscheiden des Oheims
bekanntzugeben, sagte ich.
»Mein Bruder hat einen halbblinden
Gefährten, mit dem wir eine sehr ordentliche Totenwäsche machen«, erklärte er.
Was konnte vorteilhafter sein, als
den Oheim Efendi von einem Blinden und einem Halbidioten waschen zu lassen? Für
das Totengebet zur Mittagszeit würde aus dem Saray, aus der Buchmalerwerkstatt,
den Medresen und aus hohen Ämtern eine große Menschenmenge eintreffen, sagte
ich. Fügte aber nichts hinzu, was den zertrümmerten Schädel und das zerstörte
Gesicht meines Oheims erklären würde. Denn ich hatte schon längst entschieden,
daß diese Angelegenheit nur von höherer Stelle aus erhellt werden konnte.
Vor allem mußte ich die
Todesnachricht sofort dem Ersten Schatzmeister überbringen, denn ihm oblag es,
die Zahlungen für das Buch zu überwachen, welches unser Padischah bei meinem
Oheim in Auftrag gegeben hatte. Um in den Saray zu gelangen, besuchte ich
zuerst einen Ausstatter, der schon seit meiner Kindheit in der Nähwerkstatt
gegenüber dem Tor des Kaltwasserbrunnens tätig und mit meinem seligen Vater
verwandt gewesen war. Ich küßte seine altersfleckige Hand und erklärte ihm
flehentlich, daß ich den Ersten Schatzmeister unbedingt sehen müsse. Nachdem er
mich in mitten der kahlköpfigen Gesellen hatte warten lassen, die vom Alter
krumm gebeugt mit bunten Seidenstoffen auf dem Schoß Vorhänge nähten, ließ er
mich dem Helfer des Ersten Ausstattermeisters folgen, der, so verstand ich,
zum Maßnehmen und Berechnen in den Saray gehen würde. Als ich durch das Tor des
Kaltwasserbrunnens in den Hof der Aufmärsche trat, mußte ich auch nicht
unnötigerweise an der Buchmalerwerkstatt gegenüber der Hagia Sophia
vorbeigehen, was mich vorläufig davor bewahrte, den anderen Illustratoren die
Nachricht von dem Mord überbringen zu müssen.
Der Hof der Aufmärsche war leer wie
stets, doch jetzt erschien er mir lärmerfüllt. Weder vor dem Tor des Amtsvogts
für die Gesuche, vor dem stets lange Schlangen von Bittstellern standen, wenn
der Diwan tagte, noch in der Nähe der Magazine war irgend jemand zu sehen.
Dennoch meinte ich, ein ständiges Dröhnen dringe aus der Schreinerwerkstatt,
der Bäckerei, aus den Fenstern der Krankenstube und aus den Ställen, komme von
den Pferden und Reitknechten vor dem zweiten Tor, dessen Spitztürme ich
bestaunte, ja von den Zypressen herüber. Ich schrieb diese Verwirrung meiner
Angst vor dem Babüsselam, dem Tor des Friedens, zu, das ich jetzt zum erstenmal
in meinem Leben durchschreiten würde.
Unter dem Tor konnte ich meine
Aufmerksamkeit weder auf jenen Winkel richten, in dem die Henker jederzeit
bereitstanden, wie es hieß, noch konnte ich meine Aufregung vor den Torhütern
verbergen, die auf den Stoffballen in meiner Hand blickten, der sie glauben
machen sollte, ich sei der Helfer meines Führers, des Nadelkünstlers.
Sobald wir den Hof des Diwans
betraten, umfing uns tiefe Stille. Ich konnte das heftige Pochen meines Herzens
sogar in den Adern an meinem Hals und meiner Stirn verspüren. Dieser Hof, von
dem so mancher, der im Saray ein und aus ging, gesprochen, den mir der Oheim
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