Pamuk, Orhan
erblühen lassen. Doch soll man auch nach meinem Tode wissen, daß
es selbst am Ende meines Lebens für mich, den Greis, noch viele Dinge gab, die
mich zum Lächeln brachten. Zum Beispiel:
1. Kinder (sie fassen alle Regeln
des Universums kurz zusammen).
2. Süße
Erinnerungen (hübsche Knaben, Frauen, gut zu malen, Freundschaft).
3. Den Wundern der
alten Herater Meister zu begegnen (unerklärbar für den Uneingeweihten).
Um all dies auf den einfachsten
Nenner zu bringen: In der Buchmalerwerkstatt unseres Padischahs, der ich
vorstehe, kann man nicht mehr so wundervolle Dinge entstehen lassen wie früher.
Und wie ich sehe, wird es noch schlimmer kommen; alles wird ein Ende finden.
Obwohl wir dieser Arbeit mit aller Liebe unser ganzes Dasein gewidmet haben,
spüre ich voll Kummer, daß wir hier nur selten die Schönheiten der alten
Herater Meister erreichen konnten. Es macht das Leben leichter, diese Wahrheit
in aller Bescheidenheit anzuerkennen. Ohnehin ist die Bescheidenheit in unserer
Welt eine hochgeschätzte Tugend, weil sie das Leben leichter macht.
Mit ebendieser Bescheidenheit war
ich gerade dabei, für das Buch der Beschneidungsfeste unserer Prinzen an eine
Abbildung letzte Hand zu legen. Sie zeigt, wie der Statthalter von Ägypten dem
Kronprinzen seine Geschenke überreichen läßt: ein Schwert mit einer Scheide aus
fein besticktem rotem Samt, mit Rubinen, Smaragden und Türkisen in ornamentierten
Goldfassungen besetzt, ein feuriges Araberpferd mit einer Blesse auf der Nase,
silberglänzendem Fell, stolz und schnell wie der Blitz, dazu eine Kandare und
Zügel aus Goldketten, mit Chrysolithen und Perlen besetzte Steigbügel und auf
dem Pferd ein Sattel, mit rotem, goldfadendurchwirktem Samt bezogen und
Rubinrosetten besetzt. Ich hatte die Komposition des Bildes gemacht, das
Pferd, das Schwert, den Prinzen und die ihnen zuschauenden Gesandten alle
einzeln von den Lehrlingen ausmalen lassen und setzte nun hie und da einen
Pinselstrich darauf. Einige Blätter der Platane auf dem Hippodrom färbte ich
purpurn. Den Gesandten des Tataren-Chans versah ich mit gelben Knöpfen. Als
ich ein wenig Goldlösung auf die Zügel des Pferdes auftrug, klopfte es an der
Tür. Ich hielt inne.
Ein Page. Der Schatzmeister des
Großherrn ließ mich in den Saray rufen. Meine Augen schmerzten leicht. Ich tat
mein Sehglas in die Tasche meines Kaftans und folgte dem Jungen.
Wie schön es ist, nach so langer
Arbeit durch die Straßen zu gehen! Die Welt erscheint neu und staunenswert,
als habe Allah sie gestern erst erschaffen.
Ich sah einen Hund – er besaß mehr
Bedeutung als sämtliche Bilder von Hunden. Ich sah ein Pferd – meine
Buchmalermeister zeichnen eines, das mehr Bedeutung besitzt. Ich sah eine
Platane auf dem Hippodrom – es war jene, deren Blätter ich vor kurzem purpurn
gefärbt hatte.
Während der letzten zwei Jahre hatte
ich die Umzüge auf dem Hippodrom abgebildet, und jetzt dort vorbeizugehen ist,
als ob man sich durch das Bild bewegte, das man selbst geschaffen hat. Wären
wir auf einem fränkischen Bild, liefen wir über den Rahmen aus dem Bild hinaus,
sobald wir in eine Straße einbiegen; ist es aber ein Bild nach der Art der
Herater Meister, dann kommen wir zu dem Ort, wo Allah uns sehen kann; sind wir
auf einem chinesischen Bild, können wir nie aus ihm herauskommen, weil die
Bilder der Chinesen lang und ohne Ende sind.
Der Page führte mich nicht zum alten
Diwanzimmer, wo wir uns gewöhnlich mit dem Schatzmeister des Sultans trafen, um
über die zu entrichtenden Honorare, über die Geschenke, die unsere Illustratoren
für den Padischah vorbereiteten, über Bücher und bemalte Straußeneier, über
Gesundheit, Befinden und Wohlergehen der Illustratoren, über die erforderlichen
Anschaffungen von Farbe, Blattgold und anderen Materialien, über die
gewöhnlichen Klagen und Bitten, über die Lust und Laune, den Wunsch und Willen
unseres Sultans, des Schirmherrn der Welt, über Nebensächlichkeiten, über
meine Augen, mein Sehglas, mein Kreuzweh, über den gemeinen Schwiegersohn und
die Tigerkatze des Schatzmeisters zu sprechen. Leise betraten wir den Inneren
Garten. Still wie Diebe gingen wir zwischen den noch stilleren Bäumen hindurch
zum Meer hinunter. Als wir uns dem Kiosk am Ufer näherten, sagte ich zu mir:
Dort wirst du dem Padischah begegnen. Wir bogen jedoch vom Weg ab, gingen noch
einige Schritte weiter und betraten durch die überwölbte Tür einen Steinbau
hinter den Bootshäusern. Der Duft
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