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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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schätzenswerte
Kunst betrachten und wie viele andere das Ornament und vor allem das Bild als
etwas Überflüssiges, ja Weibisches abtun, das sich an der Grenze des Unglaubens
bewegte und ohnehin bestraft werden müßte. »Obwohl Ihr noch im Besitz Eurer
ganzen Kraft an der Spitze steht, haben Eure geliebten Illustratoren bereits
mit ihrer Ränkespinnerei begonnen und fragen sich, wer wohl nach Eurem Tod der
Erste Illustrator wird«, sagte er, um mich zu reizen.
    Gab es ein mir unbekanntes Gerücht,
eine neue Intrige? Ich hielt mich zurück und schwieg. Der Schatzmeister des
Sultans bemerkte sehr wohl meinen Ärger, einmal gegenüber ihm selbst, weil er
dem verblichenen Halbgescheiten hinter meinem Rücken ein Buch in Auftrag
gegeben hatte, und zum anderen gegenüber meinen undankbaren Illustratoren,
weil sie heimlich die Bilder dieses Buches malten, um sich lieb Kind zu machen
und ein paar Asper mehr zu verdienen.
    Auf einmal ertappte ich mich selbst
bei der Vorstellung, wie sie meine Buchmalermeister foltern würden. Schinden
könnte man sie nicht während der Befragung, denn eine zweite Haut bekämen sie
nicht mehr, auch nicht pfählen wie Aufrührer, denn das führt als warnendes
Beispiel zum Tode, auch konnte man Illustratoren nicht mit lautem Knacken die
Arme, Beine und Finger brechen. Natürlich wäre es ebenso unziemlich, den
Buchmalermeistern ein Auge auszustechen, was in letzter Zeit anscheinend oft
geschehen war, weil sich die Einäugigen auf den Straßen von Istanbul häuften.
So malte ich mir schließlich meine lieben Illustratoren zwischen den Seerosen
eines eiskalten Teiches in einem dunklen Winkel des Inneren Gartens aus, wo sie
zitterten und bebten und einander haßerfüllt anstarrten, und hätte am liebsten
gelacht. Als ich aber daran dachte, wie Olive aufschreien würde, wenn ihm das
glühende Eisen ein Brandmal auf das Hinterteil setzte, oder wie mein geliebter
Schmetterling erblassen würde, wenn man ihn in Ketten schlüge, drehte sich mir
der Magen um. Und daß man meinen geliebten Schmetterling, dessen
Kunstfertigkeit und Liebe zum Malen mir manchmal das Wasser in die Augen
treibt, einem diebischen Gesellen gleich der Bastonade aussetzen würde, wollte
mir einfach nicht in den Kopf, und ich war wie versteinert.
    Auf einmal verstummte mein alter
Verstand, gebannt von der Stille. Wir alle zusammen hatten einst mit der alles
vergessen machenden Liebe gemalt.
    »Sie sind die besten
Buchmalermeister unseres Padischahs«, sagte ich. »Verschont sie!«
    Der Schatzmeister erhob sich
zufrieden von seinem Platz, holte einen Packen Papier von einem Buchständer am
anderen Ende des Raums, legte ihn vor mich hin und stellte, als sei es hier zu
dunkel, zwei große Leuchter neben mir auf, deren dicke Kerzen flackernd
brannten. Es waren jene Bilder.
    Wie kann ich euch erklären, was ich
sah, während ich das Sehglas darüber hingleiten ließ. Ich wollte lachen, aber
nicht, weil sie lächerlich waren. Ich fühlte Zorn, aber nicht, weil sie etwas
Ernstzunehmendes waren. Ich hatte den Eindruck, der Oheim Efendi habe meinen
Meistern gesagt, sie sollten malen, als wären sie nicht sie selbst, sondern
jemand anderes. Als hätte er sie gezwungen, sich an nicht vorhandene
Erinnerungen zu erinnern, sich eine Zukunft zu erträumen und zu malen, die sie
niemals zu erleben wünschten. Noch unglaublicher war, daß sie sich für diesen
Unsinn gegenseitig umbrachten.
    Der Schatzmeister fragte: »Könnt Ihr
sagen, welches Illustrators Pinsel auf welchem der Bilder zu finden ist, wenn
Ihr sie anschaut?«
    »Ja«, erwiderte ich voll Zorn. »Wo
habt Ihr diese Bilder gefunden?«
    »Kara hat sie gebracht und uns
übergeben«, erklärte der Schatzmeister. »Er versucht, sich selbst und den
seligen Oheim reinzuwaschen.«
    »Foltert ihn bei der Befragung«,
riet ich, »so daß wir erfahren, ob unser seliger Oheim noch andere Geheimnisse
hatte.«
    »Wir haben einen Mann nach ihm
ausgeschickt«, sagte der Oberste der Gartengarde voller Eifer. »Hinterher
werden wir das ganze Haus des neuen Bräutigams durchsuchen.«
    Dann aber wurden die Gesichter der
beiden auf merkwürdige Weise von einem Licht der Furcht und Bewunderung
erhellt, und sie sprangen auf.
    Ich begriff, ohne mich umzuwenden,
daß unser gnädiger Padischah, der Schirmherr der Welt, eingetreten war.

39
  Mein Name ist Ester
    Wie schön ist es, mit allen gemeinsam zu
weinen! Während der Vater meiner armen, lieben Şeküre begraben wurde,
klagten alle Frauen zusammen, nahe

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