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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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war der erste moslemische Buchmaler, der in den Krieg
zog, um sich auf die später zu illustrierenden Kriegsbücher vorzubereiten, der
sich, um sie malen zu können, eifrig dem Anblick der feindlichen Festungen, der
Kanonen, der Heere, der Pferde mit blutenden Wunden, der Sterbenden und der
Toten widmete und heil und gesund heimkehrte.
    Ich erkenne ihn eher an seinem Thema
als an seinem Stil und eher an seinem Erfassen von Einzelheiten, denen vor ihm
niemand Beachtung schenkte, als an seinem Thema. Ohne Bedenken konnte ich ihm
alles, was ein Bild betrifft, anvertrauen und überlassen, von der Aufteilung
der Seite über die Komposition und die geringste Einzelheit bis hin zum
Kolorieren. Eigentlich hat er aus diesem Grund das Recht, nach mir der Erste
Illustrator zu werden. Doch er ist so ehrgeizig und so von sich eingenommen, er
schaut so sehr auf die anderen Buchmaler herab, daß er niemals mit so vielen
Leuten umgehen kann und sie alle verlieren wird. Wenn es aber nach ihm und
seinem unglaublichen Fleiß ginge, würde er sämtliche Bilder unserer
Buchmalerwerkstatt allein anfertigen. Er könnte es, wenn er wollte. Er ist ein
großer Altmeister. Er weiß, was er tut. Er bewundert sich selbst. Wie schön
für ihn!
    Als ich ihn einmal zu Hause
aufsuchte, ohne vorher Nachricht zu geben, traf ich ihn bei der Arbeit an:
Illustrationen für die Bücher unseres Padischahs und für mich, Blätter für die
erbärmlichen Kostümbücher, die er auf Bestellung der dummen fränkischen Reisenden,
die uns so gern herabsetzen, hingeschludert hatte, eine von drei Illustrationen
für einen sehr eingebildeten Pascha, für Sammelalben und sogar zum eigenen
Vergnügen gemalte Bilder – zusammen mit einer unanständigen Darstellung vom
Beischlaf waren sie alle offen über die Buchständer, Arbeitspulte und
Sitzkissen verteilt, und der bienenfleißige, hochgewachsene und schlanke
Storch lief von einem Bild zum anderen, sang Lieder dabei, kniff den farbenmischenden
Lehrbuben in die Wange, fügte dem Bild ein scherzhaftes Detail hinzu, zeigte
es mir und lachte vor lauter Selbstbewunderung. Im Gegenteil zu den anderen
Buchmalern hatte er seine Arbeit nicht unterbrochen, um mich zeremoniell
willkommen zu heißen, nein, er hatte mir glücklich und zufrieden vorgeführt,
wie rasch er war in der Anwendung seiner ihm von Allah verliehenen Gabe und
seinem durch harte Arbeit erworbenen Können (er führt die Arbeit von sieben bis
acht Illustratoren zur gleichen Zeit aus). Jetzt ertappe ich mich bei dem
heimlichen Gedanken, es möge hoffentlich Storch sein, falls einer meiner drei
Buchmalermeister der elende Mörder ist. Wenn ich ihn während seiner Lehrjahre
am Freitag morgen vor meiner Tür sah, bin ich nie so froh gewesen wie beim
Anblick von Schmetterling.
    Da er, bar aller Logik, jedem
seltsamen Detail dieselbe Achtung erweist (es muß nur sichtbar sein), zeigt er
eine ähnliche Einstellung zum Bild wie die fränkischen Meister. Doch im Gegensatz
zu den letzteren sieht mein ehrgeiziger Storch in den Gesichtern einzelner
Menschen weder etwas Besonderes und jeweils Verschiedenes, noch zeichnet er
sie so. Ich nehme an, Gesichter bedeuten ihm nichts, weil er alle Menschen
heimlich oder offen verachtet. Der selige Oheim hat ihn das Antlitz unseres
Padischahs sicher nicht malen lassen.
    Sogar bei der Darstellung des
seriösesten Themas kann er nicht umhin, in einer Ecke des Bildes und etwas
abseits vom Geschehen einen mißtrauischen Hund unterzubringen, oder auch die
Pracht und den Reichtum einer Zeremonie durch das Hinzufügen eines elenden
Bettlers herabzusetzen. Sein Selbstvertrauen ist so groß, daß er sein Bild, das
Thema und sich selbst verspotten kann.
    »Daß man den Fein Efendi umbrachte, indem
man ihn in den Brunnen warf, gleicht dem versuchten Mord an Yusuf durch seine
neidischen Brüder, heißt es«, sagte Kara. »Und der Mord an meinem Oheim
gleicht dem an Hüsrev, der durch die Hand seines Sohnes starb, weil der ein
Auge auf Şirin, die junge Gemahlin seines Vaters, geworfen hatte. Storch
sei ganz versessen auf das Malen von Kriegs- und blutigen Sterbeszenen gewesen,
wie jeder sagt.«
    »Einer, der glaubt, der Illustrator
sei dem Thema des Bildes ähnlich, an dem er malt, versteht weder mich noch
meine Meister. Was uns verrät, sind nicht die uns von anderen aufgetragenen
Themen sie sind ohnehin alle gleich –, sondern es ist die verborgene Sensibilität,
die wir bei der Ausführung des Themas in das Bild einfließen lassen. Das

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