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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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aufwendet, ein Beweis ihres eigenen Reichtums ist«, sagte Altmeister
Osman. »Die Schönheit des Bildes ist genauso wichtig wie das darin verwendete
Gold; beides beweist, daß des Illustrators Talent rar und teuer ist. Die
übrigen Betrachter aber, die das Buch durchblättern, werden das Tier als schön
empfinden, weil es einem Pferd entspricht, das ein Pferd Allahs oder auch in
der Tat ein Phantasiepferd ist, und sie führen dieses Gefühl der Echtheit auf
das Talent zurück. Was uns betrifft, so beginnt die Schönheit auf dem Bild mit
der Vieldeutigkeit und Erlesenheit. Zu erfahren, daß in diesem Pferd, außer dem
Pferd selbst, auch die Hand des Mörders, das Zeichen jenes Teufels, zu finden
ist, vermehrt natürlich die Bedeutungen. Dann bleibt noch, herauszufinden, daß
nicht sein Bild, sondern das abgebildete Pferd schön ist. Das heißt, das Pferdebild
nicht wie ein Bild anzuschauen, sondern so, als sei es ein Pferd.«
    »Was wäre für Euch auf diesem Bild
zu sehen gewesen, wenn Ihr es so betrachtet hättet, als sei es ein Pferd?«
    »Ich könnte sagen, daß es seiner
Größe nach kein Pony, der Länge und der Wölbung seines Halses nach viel mehr
ein gutes Rennpferd ist und sich durch seinen geraden Rücken für lange Reisen
eignet. Seiner feingeformten Fesseln wegen könnte es flink und gewandt wie ein
Araberpferd sein, doch es ist kein Araber, weil sein Leib zu lang und zu groß
ist. Wie der Gelehrte Fadlan von Buchara in seinem Buch der Tierheilkunde über
schätzenswerte Pferde urteilt, zeigt die Feinheit seiner Beine, daß unser
Pferd, wenn es an einen Fluß käme, leicht hinüberspringen und keineswegs
scheuen und sich fürchten würde. In dem Buch der Tierheilkunde, welches
Fuyuzi, der Tierarzt unseres Sarays, so gut übertragen hat und das ich
auswendig kenne, wird das auserlesene Pferd in wunderschönen Worten
geschildert, von denen ich jedes einzelne für die Beschreibung unseres Fuchses
verwenden kann, den wir hier vor uns haben: ein gutes Pferd muß ein hübsches
Gesicht, Gazellenaugen und Ohren, so gerade wie Schilfrohr, haben, der Abstand
zwischen den Ohren muß weit sein; ein gutes Pferd muß kleine Zähne, eine gebeulte
Stirn, feine Augenbrauen haben, muß hochgewachsen und langmähnig sein, eine
schmale Lende, eine kleine Nase, kleine Schultern und einen flachen Rücken
haben; es muß volle Schenkel, einen langen Hals, eine breite Brust, einen
breiten Steiß haben, und die Innenseite der Schenkel muß fleischig sein. Stolz
und edel muß es sein und sich beim Laufen so bewegen, als grüße es nach beiden
Seiten.«
    »Das ist ganz und gar unser Fuchs«,
sagte ich und bestaunte das Pferdebild.
    »Wir wissen nun, wer unser Pferd
ist«, meinte Altmeister Osman mit dem gleichen ironisch-verschämten Lächeln.
»Aber das nützt uns leider gar nichts bei der Frage danach, wer es gemalt hat.
Denn ich weiß genau, daß kein vernünftiger Illustrator zum Zeichnen eines
Pferdes ein wirkliches Pferd als Vorbild benutzen würde. Meine Buchmaler können
selbstverständlich das Pferd aus dem Gedächtnis und in einem Zuge zeichnen. Der
Beweis dafür ist, daß die meisten von ihnen die Umrisse des Pferdes von der
Spitze eines Hufes aus zu malen beginnen.«
    »Fängt man nicht deshalb bei den
Füßen an, damit das Pferd fest auf dem Boden stehen kann?« fragte ich wie um
Verzeihung bittend.
    »Wie Cemalettin von Kazvin in seiner Illustration der Pferde sagt, können wir die mit dem Huf begonnene
Zeichnung eines Pferdes nur dann gebührend vollenden, wenn wir das ganze Pferd
auswendig kennen. Offensichtlich beginnt die Zeichnung eines Pferdebildes, die
durch Nachdenken und Erinnern oder, noch lächerlicher, mit einem wirklichen
Pferd vor Augen angefertigt werden soll, am Kopf und führt von dort zum Hals
und vom Hals weiter zum Leib. Es soll gewisse fränkische Maler geben, die
solche Bilder auch an Schneider und Fleischer verkaufen würden, das heißt, das
mit unsicheren, immer wieder verbesserten Strichen gezeichnete Bild eines ganz
gewöhnlichen Packpferdes von der Straße. Ein solches Pferdebild aber hat nichts
mehr gemeinsam mit dem Sinn der Welt, mit der Schönheit, die Allah schuf. Doch
sogar jene wissen, davon bin ich überzeugt, daß die eigentliche Abbildung nicht
aus dem entsteht, was das Auge gerade sieht, sondern aus dem Erinnern und der
Gewohnheit der Hand. Der Maler steht immer allein vor dem Blatt. Aus diesem
Grund ist er stets auf seine Erinnerung angewiesen. Jetzt bleibt uns nichts
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