Pamuk, Orhan
Herrin, das
während ihres Bades im See bei Mondschein auf sie wartete; die wendigen Pferde
für das Reiterspiel der Speerwerfer; das Sturmpferd mit seinem hübschen
Burschen, das Altmeister Osman warum auch immer zu der Bemerkung veranlaßte,
er habe es in seiner Jugend sehr geliebt, nun sei er sehr müde geworden; das
sonnengoldene Pferd, das Allah dem Propheten Elias sandte, um ihn vor der
Verfolgung der Götzenanbeter zu retten, wobei der Maler die Flügel des Tieres
fälschlich dem Propheten Elias angeheftet hatte; der edle Schimmel Sultan
Süleymans des Prächtigen mit kleinem Kopf und großem Leib, das während einer
Jagd traurig den jungen, liebenswerten Prinzen beobachtet, den der Sultan nach
dem frühen Tod seiner anderen drei Söhne zu sich rufen ließ; wütende,
galoppierende, müde und schöne Pferde, unbeachtete Pferde, solche, die niemals
diese Seiten verlassen würden, und Pferde, die den Rahmen der Bilder sprengten,
als wollten sie der Langeweile dieser Seiten entfliehen.
Keines trug die Signatur an seiner
Nase, nach der wir suchten.
Trotz Überdruß und Trauer blieb uns
ein stetes Gefühl des Entzückens: Manchmal vergaßen wir die Pferde, versanken
im Anblick der Schönheit des Bildes und ließen uns sogleich von seinem Farbenzauber
einfangen. Diese Bilder, die Altmeister Osman zum größten Teil selbst
vorbereitet, überwacht oder illustriert hatte, erstaunten ihn weniger, als sie
freudige Erinnerungen wachriefen. »Das ist von Kasım aus Kasımpaşa!« rief er einmal aus und wies dabei
auf die purpurfarbenen Pflanzen am Fuß des leuchtendroten Kriegszeltes Sultan
Süleymans, des Großvaters unseres Padischahs. »Er war keineswegs ein Meister,
aber vierzig Jahre lang füllte er die leeren Stellen der Bildseiten mit diesen
Pflanzen, die aus fünf Blättern und einer Blüte bestanden, und vor zwei Jahren
ist er hingegangen. Ich habe ihn stets dieses Pflänzchen zeichnen lassen, weil
er es besser als jeder andere konnte.« Mein Meister schwieg ein wenig und fügte
dann hinzu: »Schade, schade!« Ich spürte in tiefster Seele, daß etwas
beendet, daß eine Ära abgeschlossen war mit diesem Wort.
Es dunkelte bereits, als der Raum
auf einmal hell erleuchtet wurde und eine Bewegung entstand: Mein Herz schlug
heftig, und ich begriff sofort, daß unser hochverehrter Padischah, der Herr der
Welt, soeben eingetreten war. Ich warf mich ihm zu Füßen und küßte den Saum
seines Gewandes. Mein Kopf drehte sich, und ich konnte ihm nicht in die Augen
blicken.
Er aber hatte schon längst begonnen,
mit dem Ersten Illustrator, Altmeister Osman, zu sprechen. Feuriger Stolz
erfüllte mein Herz, weil er zu jener Person sprach, mit der ich eben noch Knie
an Knie gesessen und Bilder betrachtet hatte. Es war unglaublich, aber unser
hochgeehrter Sultan saß jetzt auf jenem Platz, den ich vorher eingenommen
hatte, und hörte, genau wie ich, gespannt dem Bericht meines Meisters zu. Der
Schatzmeister war an seiner Seite, der Oberste Falkner und einige mir
unbekannte Personen bewachten die beiden und schauten zugleich aufmerksam die
offenliegenden Bildseiten an. Einmal raffte ich allen Mut zusammen und blickte
lange, wenn auch nur von der Seite, in das Antlitz, in die Augen des
Herrschers der Welt. Wie schön er war! Wie gerade und rechtschaffen! Mein Herz
schlug nicht mehr so stark. Genau in diesem Augenblick schaute er mich an, und
unsere Blicke trafen sich.
»Wie sehr habe ich deinen seligen
Oheim geliebt«, sagte er. Ja, er sprach zu mir. Vor lauter Aufregung entging
mir ein Teil von dem, was er sagte.
»... hat mir viel Kummer bereitet.
Doch es tröstet mich zu sehen, daß jedes dieser Blätter, die er hat anfertigen
lassen, ein Wunderwerk geworden ist. Der venezianische Giaur wird staunen,
wenn er sie sieht, und wird meinen Verstand fürchten. Ihr findet jetzt an den
Nüstern dieses Pferdes heraus, wer der ruchlose Illustrator ist. Wenn nicht,
wird es zwar grausam, aber notwendig sein, alle Buchmalermeister zu foltern.«
»Mein hochverehrter Sultan und
Schirmherr der Welt«, ließ sich Meister Osman vernehmen, »wenn meine
Meisterillustratoren ganz rasch auf eine leere Seite das Bild eines Pferdes
zeichnen, ohne an eine Geschichte zu denken, dann können wir vielleicht herausfinden,
wessen Pinsel hier ausgerutscht ist.«
»Natürlich nur, falls dies keine
echte Nase, sondern tatsächlich ein Ausrutscher des Pinsels ist«, erklärte
unser Padischah scharfsinnig.
»Mein Sultan«, sagte Meister Osman,
»wenn man
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