Pamuk, Orhan
auf einem über zwei Seiten
reichenden Bild den Fuchs mit der weißen Blesse auf der Stirn und den Schimmel
mit den Gazellenaugen, die den Leichenwagen zogen, und andere traurige Pferde,
die für den Trauerzug mit goldbestickten Sätteln und wunderschönen Satteldecken
ausgestattet waren. Alle hatten Schmetterling, Olive und Storch gemalt. Ob es
jene Pferde waren, die den Leichenwagen mit den riesigen Rädern zogen, oder
jene, die den unter einer tiefroten Decke ruhenden Leib ihres Gebieters mit
umwölkten Blicken grüßten – alle diese Pferde standen, ein Bein vornehm
erhoben, das andere daneben fest auf dem Boden, in der gleichen edlen, von den
Herater Altmeistern übernommenen Haltung da. Alle hatten einen langen gebogenen
Hals, gebundene Schwänze, gestutzte und gekämmte Mähnen, doch kein einziges
wies den von uns gesuchten Fehler an der Nase auf. Ebenso gab es keinen Fehler
an irgendeiner Nase der mehr als hundert Pferde, welche die Befehlshaber,
Gelehrten und Hodschas trugen, die an der Trauerfeier teilnahmen und von den
umgebenden Hügeln herab dem verstorbenen Padischah die letzte Ehre erwiesen.
Etwas von dem Kummer dieser
trauervollen Zeremonie ging auf uns über. Es grämte uns, daß diese
wundervollen, von Altmeister Osman und seinen Illustratoren mit soviel Mühe
angefertigten Bücher schlecht behandelt worden waren, daß die mit den Prinzen
spielenden Haremsfrauen hie und da auf den Seiten Linien gezogen oder irgend
etwas hingekritzelt hatten. In einer Jagdszene des Großvaters unseres
Padischahs stand unter einem Baum in schlechter Handschrift geschrieben: »Mein
Herr und Gebieter, ich liebe und erwarte Euch mit der Geduld eines Baumes.«
Niedergeschlagen und von Trauer erfüllt, sahen wir all diese legendären Bücher
durch, deren Entstehung ich vom Hörensagen kannte, die ich aber nie gesehen
hatte.
Im zweiten Band des Buches der
Künste, das die Spuren der Pinsel aller drei Buchmalermeister trug, sahen
wir Hunderte von Pferden jeder Färbung, von bläulich über rotbraun bis zu
weißgrau, die in ihren Kettenpanzern mit Gerassel und Getrappel und allem Drum
und Dran hinter den donnernden Kanonen und der Infanterie herzogen und die
ruhmreichen Spahis mit Schwert und Schild in ordentlicher Reihe über die
rosafarbenen Hügel trugen, doch keine einzige Pferdenase hatte einen Fehler.
»Was heißt hier Fehler!« hatte Altmeister Osman ausgerufen, während er später
im selben Buch eine andere Seite betrachtete, die das Äußere Großherrliche Tor
und den Platz der Aufmärsche zeigte, den Ort, an dem wir uns augenblicklich
befanden: Auch auf diesem Bild, das die Krankenstuben rechts, den Audienzsaal
und die Bäume des Hofes der Umrahmung entsprechend klein, für uns aber groß
genug wiedergab, fehlte das gesuchte Zeichen an den Nasen der
verschiedenfarbigen Pferde, auf denen Torwächter, Tschausche und Diwanschreiber
ritten. Wir betrachteten den Urgroßvater unseres Padischahs, Sultan Selim den
Gestrengen, auf der Jagd während des Feldzugs gegen den Herrscher von Dulkadir,
als er am Ufer des Flusses Küskün sein eigenes Zelt errichten ließ, sahen
schwarze, rotgeschwänzte Windhunde, Gazellenkitze mit erhobenem Sterz und
ängstliche Hasen auseinanderstieben, und sahen einen Leoparden mit
blütengleichen Tupfen auf dem Fell, den der Sultan in seinem Blute liegend
zurückgelassen hatte. Weder der Fuchs mit der Blesse, den der Sultan ritt,
hatte das gesuchte Zeichen an der Nase noch die Pferde der Falkner, die mit den
Beizvögeln auf dem Arm hinter den roten Hügeln warteten.
Bis es Abend wurde, hatten wir
Hunderte von Pferden geprüft, welche die Pinsel von Olive, Schmetterling und
Storch in den letzten vier, fünf Jahren geschaffen hatten. Die schwarzen und
goldenen Pferde des Krimschen Chan Mehmet Giray mit zarten Ohren und
kastanienbraunen Flecken; rosige und bleifarbene Pferde, von denen während
eines Kampfes nur Kopf und Hals hinter einer Hügelkuppe sichtbar werden; die
Pferde Haydar Paschas, der in Tunis die Festung La Goulette von den spanischen
Ungläubigen zurückerobert, und die rötlichbraunen und pistaziengrünen Pferde
der Spanier, von denen eins im Fliehen auf die Nase stürzt; ein schwarzes
Pferd, das Meister Osman die Bemerkung entlockte: »Ich habe es übersehen, doch
wer hat so oberflächlich gearbeitet«?; ein rotes Pferd, das mit gespitzten
Ohren aufmerksam einem Pagen lauschte, der die Ud spielend unter einem Baum
saß; Nachtfarbe, das Pferd der Şirin, zart und scheu wie seine
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