Pamuk, Orhan
übrig, als die heimliche Signatur, die in unserem rasch und könnerisch
aus dem Gedächtnis hingeworfenen Pferd verborgen ist, durch die
Hofdamen-Methode herauszufinden. Sieh dir das einmal genau an.«
Er ließ sein Vergrößerungsglas sehr
langsam über das wundervolle Pferd gleiten, als suche er auf einer alten,
ledernen Landkarte, die äußerst fein gezeichnet war, nach einem Schatz.
»Ja«, sagte ich wie ein eifriger
Schüler, der sich gezwungen fühlt, eine sofortige Entdeckung zu machen, um
seinem Lehrmeister zu gefallen. »Wir können die Farben und die Stickerei der
Satteldecke mit jenen auf den anderen Bildern vergleichen.«
»Meine Buchmalermeister würden ihren
Pinsel nie auf diese Verzierungen setzen. Die Stickereien der Kleider, Teppiche
und Zelte zeichnen die Lehrlinge. Vielleicht hat sie der verstorbene Fein
Efendi ausgeführt, vergiß sie!«
»Die Ohren?« fragte ich eifrig.
»Auch die Ohren der Pferde –«
»Nein, die entsprechen dem alten
Muster, das sich seit der Zeit der Timuriden nicht verändert hat, sie gleichen
dem Schilfrohr, ganz so, wie wir sie kennen.«
Der Zopf in der Mähne, das Strähne
für Strähne ausgeführte Haar, wollte ich sagen, schwieg aber, weil mir dieses
Spiel von Meister und Lehrling nicht gefiel. Wenn ich der Lehrling war, mußte
ich auch meine Grenzen kennen.
»Schau einmal dorthin«, sagte
Altmeister Osman klagend, doch höchst gespannt, wie ein Arzt, der einem anderen
eine Pestbeule zeigt. »Siehst du?«
Er hatte das Vergrößerungsglas bis
zum Kopf des Pferdes wandern lassen und bewegte es jetzt von der Oberfläche
des Bildes langsam auf uns zu. Um richtig sehen zu können, was unter der Linse
vergrößert wurde, beugte ich mich näher heran.
Die Nase des Pferdes war eigenartig – die Nüstern.
»Hast du's gesehen?« fragte Meister
Osman.
Um ganz sicher zu sein, daß ich
richtig gesehen hatte, mußte ich mein Auge genau über das Vergrößerungsglas
halten. Als auch Meister Osman im selben Augenblick dasselbe tat, berührten
sich unsere Wangen dicht über der Linse, die jetzt recht weit vom Bild entfernt
war. Als ich den harten Bart des Meisters und seine kalte Wange an der meinen
fühlte, erschrak ich plötzlich.
Wir schwiegen eine Weile. Es war,
als ob in dem Bild, das eine Handspanne entfernt vor meinen müden Augen
erschien, etwas Wunderbares geschähe und wir die respektvollen, bewundernden
Zeugen des Geschehens würden.
Lange danach erst konnte ich
flüstern: »Was ist das an den Nüstern?«
»Er hat sie sehr merkwürdig
gezeichnet«, sagte der Meister, ohne den Blick vom Bild zu heben.
»Ist ihm vielleicht die Hand
ausgerutscht? Ist das ein Fehler?«
Noch immer betrachteten wir die
Nüstern, die auf seltsame, einmalige Art gestaltet waren.
»Ist es das, was alle, auch die
großen chinesischen Meister, in Nachahmung der Franken als Stil zu erkunden
beginnen?« fragte Meister Osman in spöttischem Ton.
Ich glaubte, der Spott habe meinem
seligen Oheim gegolten, und erwiderte empfindlich: »Wenn der Fehler nicht auf
Talentlosigkeit oder mangelndes Können zurückgeht, sondern tief aus der Seele
des Illustrators kommt, dann ist es nicht länger ein Fehler, sondern Stil, wie
mein seliger Oheim sagte.«
Was auch immer der Grund war, des
Illustrators Hand oder das Pferd selbst, es gab außer diesen Nüstern keinen
anderen Hinweis, um den gemeinen Mörder des Oheims zu finden. Denn von den
Nüstern abgesehen, waren für uns schon allein die Nasen der Pferde auf dem
Papier, das man bei dem verstorbenen Fein Efendi gefunden hatte, schwierig
genug zu erkennen.
Wir verbrachten viel Zeit damit, die
Pferdebilder zu finden, die Altmeister Osmans geliebte Illustratoren in den
letzten Jahren für verschiedene Bücher gemalt hatten, um nach Fehlern an den Nüstern
zu suchen. Da das nahezu fertige Buch
der Feste die nur
zu Fuß an unserem Padischah vorbeimarschierenden Gemeinden und Gilden
beschrieb, gab es auf den zweihundertfünfzig Bildern nur wenige Pferde. Männer
wurden zur Buchmalerwerkstatt geschickt, um einige Musterbücher, Hefte mit
Vorbildern und neuentstandene Bücher zu holen, wie auch in den Inneren Saray
und den Harem, um sämtliche streng unter Verschluß gehaltenen Bücher natürlich
mit Erlaubnis des Sultans – aus der Schatzkammer herzubringen.
Als erstes besahen wir uns in dem Buch des Sieges, das aus dem Zimmer eines jungen
Prinzen kam und den Trauerzug des während der Belagerung von Zigetvar
verstorbenen Sultan Süleymans schilderte,
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