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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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schon davonging. Ob er wohl erbost
war? Konnte es sein, daß wir, ja sogar alle Illustratoren wegen des Hochmuts meines
Meisters gestraft werden würden?
    Während ich die drei Pferde vor mir
betrachtete, ging es mir durch den Sinn, daß man mich töten würde, ohne daß ich
Şeküre noch einmal wiedersehen könnte, ohne daß ich auch nur einmal mit
ihr das Bett geteilt hätte. All ihrer Schönheit zum Trotz schienen diese
wundervollen Tiere jetzt für mich aus einer sehr entfernten Welt zu kommen.
    In einer beängstigenden Stille wurde
ich von der bitteren Erkenntnis durchdrungen, daß es von gleicher Bedeutung
war, ob man als Kind in den Enderun, das Herz des Sarays, aufgenommen und
großgezogen wurde, um dort zu leben, dem Sultan zu gehören und deswegen
vielleicht zu sterben, oder ob man als Illustrator der Sklave Allahs war und
vielleicht um Seiner Schönheit willen das Leben lassen mußte.
    Der Tod beherrschte meine Gedanken,
als uns die Männer des Großherrlichen Schatzmeisters etliche Zeit danach hinauf
zum Mittleren Tor führten; die Stille des Todes. Doch als wir dieses Tor
durchschritten, unter dem so viele Paschas hingerichtet worden waren, schienen
uns die Torwächter nicht einmal zu sehen. Und auch der Diwanplatz, der mich
gestern noch geblendet hatte, als sei er das Paradies, und der Turm und die
Pfauen machten nicht den geringsten Eindruck mehr auf mich. Denn ich hatte
begriffen, daß man uns noch tiefer ins Innere zum Enderun, in die geheime Welt
unseres Padischahs, brachte.
    So durchschritten wir Tore, die
sogar den höchsten Wesiren verschlossen blieben. Und wie ein Kind, das in ein
Märchen geraten ist, hob ich den Blick nicht vom Boden, um den Wundern und den
Bestien, die mir begegnen würden, nicht ins Auge sehen zu müssen. Nicht einmal
zum Audienzsaal konnte ich hinschauen. Dennoch glitt mein Auge zwischendurch
ein wenig höher und blieb an den Mauern des Harems, an einer Zypresse, die sich
durch nichts von anderen Bäumen unterschied, und an einem hochgewachsenen Mann
in einem glänzend blauen Kaftan aus Atlasseide hängen. Wir gingen zwischen
hohen Säulen hindurch und hielten schließlich vor einem schweren Tor, größer
und prächtiger als die anderen und mit Stalaktitenornamenten überwölbt. Aghas
in schimmernden Kaftanen standen an der Schwelle, und einer von ihnen beugte
sich über das Schloß.
    Der Schatzmeister blickte uns in die
Augen und sagte: »Welch ein Glück für euch, daß unser Padischah, der Wahrer des
Heils, euch den Zutritt zu unseren Schätzen gewährt hat. Ihr werdet von niemand
anderem erblickte Bücher sehen, Seiten aus Gold, unglaubliche Bilder, und wie
der Jäger der Spur folgen. Da der erste der drei Tage, die unser Sultan
Altmeister Osman zugestand, vergangen ist, hat der Meister noch zwei Tage bis
zur Mittagszeit am Donnerstag, um den Verruchten unter den Illustratoren
herauszufinden und zu melden, und ich habe den Auftrag, daran zu erinnern, daß
anderenfalls der Oberste der Gartengarde diese Frage durch die Folter lösen
wird.«
    Zuerst entfernten sie den Überzug
des Hängeschlosses, der das Siegel über dem Schlüsselloch schützte, um das
Einführen eines anderen Schlüssels zu verhindern. Der Torhüter des Schatzhauses
und zwei Aufseher prüften, ob das Siegel unverletzt war, und nickten
bestätigend. Als das Siegel gebrochen und der Schlüssel ins Schloß gesteckt
wurde, horchten wir in der Stille, die uns umgab, aufmerksam auf den
schnippenden Laut, mit dem das Schloß aufsprang. Für einen Augenblick färbte
sich Altmeister Osmans Gesicht aschgrau. Während sich der eine Flügel des
schweren, ornamentierten Portals öffnete, fiel ein dunkler Schein auf sein
Gesicht, wie ein Schimmer aus alter Zeit.
    »Mein Padischah hat nicht umsonst
verlangt, daß keiner von den Oberen der Schreiber und den inventarführenden
Sekretären hier anwesend sei«, erklärte der Schatzmeister. »Der Bibliothekar
ist verstorben, und es gibt niemanden, der an seiner Stelle die Bücher
verwaltet. Aus diesem Grund hat mein Herrscher bestimmt, daß nur Cesmi Agha
hier mit euch weilt.«
    Dies war ein Zwerg mit blanken Augen
im Alter von wohl mindestens siebzig Jahren. Seine segelartige Kopfbedeckung
nahm sich noch seltsamer aus als er selbst.
    »Cesmi Agha kennt das Innere hier
wie sein eigenes Haus. Er weiß besser als jeder andere, wo sich die Bücher und
alles übrige findet.«
    Der alte Zwerg schien nicht stolz
darauf zu sein. Er begutachtete das Kohlenbecken auf silbernen

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