Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
Vom Netzwerk:
stieß ich an
seine Schulter und weckte ihn. Er war bei meinem Anblick weniger entzückt und
erregt als erschrocken, wenn auch nur kurz, so wie ich es gewollt hatte. Ich
sprach ihn an, bevor er richtig zu sich kam: »Mein Vater ist mir im Traum
erschienen. Er sagte mir etwas Entsetzliches: Du habest ihn umgebracht ...«
    »Waren wir nicht beisammen, als dein
Vater ermordet wurde?«
    »Das weiß ich auch«, gab ich zurück.
»Doch du hast gewußt, daß mein Vater allein zu Hause war.«
    »Das wußte ich nicht. Du hast die
Kinder mit Hayriye fortgeschickt. Also wußte es Hayriye, vielleicht auch
Ester. Wem es außerdem noch bekannt war, weißt du am besten.«
    »Manchmal scheint mir eine Stimme im
Innern sagen zu wollen, warum sich alles zum Schlechten wendet, woher all dies
rätselhafte Unglück kommt. Ich öffne den Mund, um diese Stimme zu Wort kommen
zu lassen, doch ich bringe wie im Traum keinen Ton heraus. Du bist auch nicht
mehr der gute, naive Kara, den ich in meiner Kindheit kannte.«
    »Dein Vater und du, ihr habt diesen
naiven Kara vertrieben.«
    »Falls du mich geheiratet hast, um
dich an meinem Vater zu rächen, hast du dein Ziel erreicht. Mag sein, daß dich
deswegen meine Kinder nicht im geringsten mögen.«
    »Ich weiß«, sagte er, doch klang es
nicht bekümmert. »Du warst eine Zeitlang unten, bevor ich zu Bett ging, und ich
konnte hören, wie sie sangen: ›Kara, Kara, oh, Spalt in meinem Po!‹«
    »Hättest du sie doch verprügelt!«
sagte ich und wünschte zuerst, er hätte es wirklich getan, fügte dann aber
hastig hinzu: »Ich bringe dich um, wenn du die Hand gegen sie hebst!«
    »Komm ins Bett«, sagte er. »Du wirst
erfrieren.«
    »Vielleicht werde ich niemals in
dieses dein Bett steigen. Vielleicht haben wir beide einen Fehler gemacht mit
der Heirat. Es heißt ja, unsere Eheschließung sei ungültig. Ich habe nachts vor
dem Einschlafen Hasans Schritte gehört. Vergiß nicht, daß ich seine Schritte
jahrelang hörte, als ich bei meinem verstorbenen Ehemann wohnte. Die Kinder
lieben ihn. Und er kennt auch kein Mitleid. Er besitzt ein rotes Schwert, vor
dem du dich hüten solltest.«
    Ich sah in Karas Blicken eine so
große Müdigkeit und Härte, daß mir klar wurde, ich konnte ihn nicht in Angst
versetzen.
    »Du bist derjenige von uns beiden,
der mehr Hoffnungen hegt, aber auch größeren Kummer empfindet. Ich kämpfe
hartnäckig gegen die Hoffnungslosigkeit und für die Sicherheit meiner Kinder«,
sagte ich, »du aber bist hartnäckig, weil du dich selbst beweisen willst,
nicht, weil du mich liebst.«
    Darauf erklärte er mir lange und
ausführlich, wie sehr er mich liebte und wie seine Gedanken in den entlegenen
Karawansereien, in den kahlen Gebirgen, in den verschneiten Nächten stets bei
mir gewesen seien. Allein weil er mir all dies erzählte, weckte ich meine
Kinder nicht auf, um mit ihnen in das Haus meines ersten Mannes zurückzukehren.
Dann sprudelte ich heraus, was mir plötzlich in den Sinn kam: »Manchmal habe
ich das Gefühl, mein erster Ehemann könnte jeden Augenblick zurückkommen. Es
ist nicht die Angst, nachts mit dir in einem Raum zu bleiben oder von den Kindern
überrascht zu werden, doch ich fürchte, er könnte an diese Tür pochen, sobald
wir uns umarmen.«
    Von draußen, gleich vor dem Hoftor,
kam das Geschrei von Katzen, die sich mörderisch bekämpften. Dann folgte eine
lange Stille. Ich fühlte ein Schluchzen in mir aufsteigen. Und ich konnte weder
den Leuchter in meiner Hand auf den kleinen Tisch setzen noch mich umwenden und
zu meinen Kindern zurückgehen. So schwor ich mir, das Zimmer nicht zu
verlassen, bis ich mit absoluter Sicherheit wußte, daß Kara mit dem Mord an
meinem Vater nichts zu tun hatte.
    »Du schaust auf uns herab«, warf ich
ihm vor. »Nach unserer Heirat bist du hochmütig geworden. Sowieso hast du uns
bedauert, weil mein Ehemann nicht wiederkam, und jetzt bedauerst du uns, weil
mein Vater ermordet wurde.«
    »Frau Şeküre«, sagte er behutsam,
und es gefiel mir, daß er auf diese Art begann, »du weißt auch, daß nichts
davon stimmt. Ich tue alles für dich.«
    »Dann komm aus deinem Bett und warte
stehend wie ich.«
    Warum hatte ich gesagt, daß ich
wartete?
    »Ich kann nicht«, erklärte er und
wies verschämt auf die Steppdecke und sein Nachtkleid.
    Er hatte recht. Trotzdem erzürnte
mich seine Weigerung.
    »Vor dem Mord an meinem Vater bist
du wie eine Katze in dieses Haus geschlichen, die Milch verschüttet hat«,
erklärte ich. »Wenn du

Weitere Kostenlose Bücher