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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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herausfinden würden, hatte er bereits befohlen,
ihm die Angelegenheit nicht noch einmal vorzubringen und den Verbrecher sofort
der Folter zu unterwerfen. So wurden wir nicht vor den Henkersbrunnen geführt,
wo man öffentlich die abschreckenden Beispiele vorführte, sondern zu der
kleinen Hütte in der Abgeschiedenheit des Inneren Gartens, die für geheime
Befragung, Folter und Hinrichtung bevorzugt wurde.
    Ein Jüngling, so vornehm und
höflich, daß er nicht zu den Männern des Gardenobersten gehören konnte, legte
mit selbstsicherer Geste drei Blätter auf einen Buchständer.
    Als Meister Osman sein
Vergrößerungsglas hervorholte, schlug mein Herz schneller. Einem Adler gleich,
der elegant über einem Landstrich dahingleitet, ließ er die Linse und sein Auge
darüber in ständig gleichem Abstand langsam über die wundervollen Pferdebilder
wandern. Und wie der Adler, der auf der Jagd eine Gazelle gesichtet hat, so
verhielt er einen Augenblick über den Nasen der Pferde und schärfte seinen
Blick, änderte aber nicht seine Haltung.
    »Nichts!« sagte er dann in aller
Ruhe.
    »Was heißt nichts?« fragte der
Gardenoberste.
    Auch ich hatte angenommen, der große
Altmeister würde sich ganz der Sache widmen und jede Einzelheit von der Mähne
bis zum Huf genau untersuchen.
    »Der verruchte Buchmaler hat keine
einzige Spur hinterlassen«, erklärte Meister Osman. »Aus diesen Bildern ist
nicht zu erkennen, wer das kastanienbraune Pferd gemalt hat.«
    Ich nahm das Glas, das er fortgelegt
hatte, zur Hand und schaute mir die Nüstern der Tiere an. Der Meister hatte
recht. Bei keinem der drei Pferde war eine solche Abweichung an den Nüstern zu
sehen wie bei dem Fuchs, der für das von meinem Oheim betreute Buch gemalt
worden war.
    Dann wurde mein Blick auf die
Folterknechte gelenkt, die draußen mit einem Instrument warteten, dessen
Bestimmung ich nicht erraten konnte. Während ich sie durch den Türspalt
beobachtete, bemerkte ich plötzlich, daß einer von ihnen wie von Gespensterhand
geschlagen rückwärts lief und sich rasch hinter einem der Maulbeerbäume
verkroch.
    Und in diesem Augenblick kam Seine
Hoheit unser Padischah, das Fundament der Welt, wie ein Licht zur Tür herein,
das den bleiernen Morgen erhellte.
    Meister Osman erklärte ihm sogleich,
daß es nicht möglich sei, aus diesen Pferdebildern einen Schluß zu ziehen.
Dennoch konnte er sich nicht enthalten, unseren Padischah auf die wundervollen
Pferde aufmerksam zu machen, auf das Aufbäumen des einen, die zierliche,
vornehme Haltung des anderen und die Würde und den Stolz des dritten, wie es
die alten Bücher zeigten. Unterdessen stellte er bei jedem einzelnen fest,
welches Bild vermutlich von welchem Illustrator stammte, und der Page, der
nachts von Tür zu Tür gewandert war, bestätigte diese Angaben.
    »Daß ich meine Illustratoren in- und
auswendig kenne, sollte euch nicht wundern, mein Herrscher«, sagte der Meister.
»Mich aber verwundert, wie meine mir doch so gut bekannten Illustratoren einen
mir so vollkommen fremden Strich hervorbringen konnten. Denn jeder Fehler
eines Buchmalermeisters hat seinen Grund.«
    »Und das heißt?« fragte der Sultan.
    »Mein Padischah, Träger des Heils,
Schirmherr der Welt, diese geheime Signatur, die Ihr an den Nüstern des Fuchses
seht, ist in meinen Augen kein sinnloser, dummer Illustrationsfehler, sondern
eine Sache, deren Ursprung weiter zurückgeht, zu anderen Bildern, anderen
Methoden, anderen Stilen und vielleicht sogar anderen Pferden. Wenn wir die
herrlichen Seiten der jahrhundertealten Bücher durchblättern, die ihr in Eurer
Schatzkammer, in den festverschlossenen Kellern, in den Eisentruhen, in den
Schränken verborgen haltet, dann würden wir vielleicht in dem, was wir heute
als Fehler betrachten, eine Methode sehen und sie dem Pinsel eines der drei
Buchmaler zuordnen können.«
    »Du willst die Innere Schatzkammer
betreten?« fragte der Sultan erstaunt.
    »Ja«, bestätigte der Meister.
    Das war ein so unverschämter Wunsch,
als wolle man in den Harem eintreten. Und im gleichen Augenblick wurde mir klar,
daß die Bauten des Harems und des Schatzes nicht nur in den beiden schönsten
Winkeln des Hofes lagen, die zu dem paradiesgleichen Inneren Palast unseres
Padischahs gehörten, sie nahmen auch in seinem Herzen die beiden wichtigsten
Stellen ein.
    Ich versuchte, von dem schönen
Gesicht unseres Herrschers, das ich nunmehr ohne Furcht betrachten konnte,
abzulesen, was nun folgen würde, als er auch

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