Pamuk, Orhan
mich jetzt mit Frau Şeküre anredest, scheint es,
als seist du selbst nicht überzeugt von dem, was du redest, und wolltest uns
deine Zweifel an dir selbst auch wissen lassen.«
Ich zitterte, doch nicht vor Wut,
sondern weil mir die Kälte wie Eis in die Beine, den Rücken hoch und bis in den
Nacken gestiegen war.
»Komm ins Bett und sei meine Frau«,
sagte er.
»Wie wird man den schurkischen
Mörder meines Vaters finden?« fragte ich. »Wenn es sehr lange dauert, ist es
unrecht, mit dir in diesem Haus zusammenzuwohnen.«
»Es ist Ester und dir zu verdanken,
daß Altmeister Osman seine ganze Aufmerksamkeit den Pferden zugewandt hat.«
»Altmeister Osman war der Todfeind
meines seligen Vaters. Daß es jetzt von Meister Osman abhängt, seinen Mörder zu
finden, muß meinem Väterchen großen Kummer bereiten, während er von oben
zuschaut!«
Plötzlich sprang Kara aus dem Bett
und kam auf mich zu. Ich rührte mich nicht von der Stelle. Doch anders als
vermutet, löschte er nur meine Kerze mit der Hand und hielt inne. Alles war in
tiefe Dunkelheit getaucht.
Er flüsterte: »Nun sieht uns dein
Vater nicht mehr. Wir sind beide allein. Sag mir eins, Şeküre: Als ich
jetzt nach zwölf Jahren hierher zurückkam, hast du mich fühlen lassen, daß du
mich lieben und mir in deinem Herzen einen Platz einräumen könntest. Dann haben
wir geheiratet. Seit unserer Hochzeit entziehst du dich mir, willst mich nicht
lieben.«
»Ich habe dich notgedrungen
geheiratet«, flüsterte ich.
Ohne jedes Erbarmen spürte ich in
der Dunkelheit, daß jedes meiner Worte, um mit Fuzuli zu sprechen, den Körper
vor mir wie ein Nagel getroffen hatte.
Noch einmal flüsterte ich: »Wenn ich
dich geliebt hätte, wäre es in der Kindheit gewesen.«
»Sag mir, Schöne in der Dunkelheit«,
wollte er wissen, »du hast alle Illustratoren, die ins Haus kamen, beobachtet
und erkannt. Wen hältst du für den Mörder?«
Es gefiel mir, daß er immer noch
guter Stimmung war. Nun, er war mein Ehemann!
»Ich friere.«
Sagte ich das? Ich erinnere mich
nicht. Wir begannen uns zu küssen. Es war schön, ihn in der Dunkelheit zu
umarmen, während ich noch den Leuchter in der Hand hielt, seine samtige Zunge
in meinen Mund zu ziehen, meine Tränen, meine Haare, mein Nachtgewand, mein
Zittern, ja, sein Körper, alles war schön. Auch, meine Nase in der Kälte an
seine Wange zu legen und zu wärmen, doch die ängstliche Şeküre hielt sich
zurück, vergaß sich nicht beim Küssen und dachte an den Leuchter in der Hand,
an ihren Vater, der ihr zusah, an ihren ersten Ehemann, an ihre schlafenden
Kinder in ihrem Bett.
»Es ist jemand im Haus!« rief ich,
stieß Kara zurück und lief auf den Flur hinaus.
49
Mein Name ist Kara
Lautlos wie ein schuldbewußter Gast verließ
ich in der dunklen Morgenfrühe ungesehen das Haus und ging lange durch die morastigen
Straßen. In Beyazıt betrat ich nach der Reinigung im Hof die Moschee und
verrichtete mein Morgengebet. Niemand befand sich dort, außer dem Imam Efendi
und einem alten Mann, der dank einer Fähigkeit, die man sich nur im Laufe
vieler Lebensjahre aneigenen kann, imstande war, beim Beten weiterzuschlafen.
Manchmal spüren wir zwischen schläfrigen Träumen und traurigen Erinnerungen,
daß Allah uns für einen Augenblick bemerkt hat, und wie jemand, der dem
Padischah hastig ein Bittgesuch in die Hand zu drücken vermochte, erbitten wir
etwas von Ihm: Ich erflehte von Allah ein Haus voller Glück und liebender
Menschen.
Ich spürte, als ich Altmeister
Osmans Haus erreichte, daß er in meiner Gedankenwelt während einer Woche ganz
allmählich den Platz des seligen Oheims eingenommen hatte. Er war abweisender,
hielt mehr Abstand zu mir, doch seine Hingabe an die Buchmalerei ging tiefer.
Er glich weitaus mehr einem in sich ruhenden Derwisch als dem großen Meister,
der jahrelang unter den Illustratoren Furcht, Bewunderung und Liebe entfacht hatte.
Der Meister leicht vorgebeugt auf
dem Pferderücken und ich leicht vorgebeugt nebenhergehend, so müssen wir auf
dem Weg von seinem Haus zum Saray dem greisen Derwisch und dessen eifrigem
Schüler geglichen haben, die auf den billigen Abbildungen in alten Sagenbüchern
zu sehen sind.
Wir fanden im Saray den
Gardenobersten und seine Männer noch emsiger und bereitwilliger vor, als wir es
waren. Da sich unser Padischah sicher war, daß wir am Morgen die von den drei
Meistern gezeichneten Pferdebilder anschauen und im Handumdrehen den
verfluchten Mörder unter ihnen
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