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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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andere
Kabinette, andere Truhen zu öffnen, die uns der alte Zwerg zeigte, und die
Bilder darin zu prüfen. Zuweilen wurden mir die alle einander gleichenden
Bilder zuviel, wollte ich das Treffen von Hüsrev und Şirin unter dem
Fenster des Palastes nie mehr sehen, und dann erhob ich mich von der Seite des
Meisters, ohne auch nur einen Blick auf die Nüstern von Hüsrevs Pferd zu
werfen, versuchte, mich am Kohlenbecken aufzuwärmen oder ging in ehrfürchtigem
Staunen zwischen den Haufen von Stoffen, Gold, Beutestücken, Waffen und Panzern
in den Nebenräumen der Schatzkammer umher. Zuweilen wurde ich durch einen
Ausruf, eine Geste Meister Osmans aufgeschreckt und stellte mir vor, er habe in
einem Band ein neues Wunder, oder ja, endlich auf einer Seite ein Pferd mit
seltsamen Nüstern entdeckt; und dann eilte ich zu ihm, der zusammengekrümmt auf
einem aus den Tagen Mehmets des Eroberers stammenden Uşak-Teppich hockte, um auf dem Blatt,
das er in seinen leicht zitternden Händen hielt, nur das wenn auch in dieser
Art nie zuvor erblickte – Bild des Satans zu sehen, der sich hinterlistig auf
der Arche des heiligen Noah einschleicht.
    Wir betrachteten Hunderte von
Schahs, Königen, Padischahs und Chanen, Herrscher auf den Thronen verschiedener
Länder aus den Tagen Timurs bis zu Sultan Süleyman dem Prächtigen, die munter
und fröhlich Gazellen, Löwen und Hasen jagten. Wir sahen, wie sich sogar der
Teufel in den Finger biß und vor einem schamlosen Sodomiten zurückschreckte,
der auf Holzlatten stand, die er einem Kamel an die Hinterbeine gebunden hatte,
so daß er das arme Tier mißbrauchen konnte. In einem arabischen Buch, das aus
Bagdad stammte, sahen wir den Flug des Kaufmanns, der sich an den Beinen des
Sagenvogels festhielt und über den Meeren schwebte. Auf der ersten, sich von
selbst öffnenden Seite des nächsten Bandes befand sich die Szene, die Şeküre
und mir immer am meisten gefallen hatte, jene, in welcher Şirin Hüsrevs
Bildnis im Baum entdeckt und sich in ihn verliebt. Als wir dann auf ein Bild
stießen, das den vertrackten Mechanismus im Innern einer Uhr darstellte und aus
Rollen, Bällen, Vögeln und arabischen Figürchen auf dem Rücken eines Elefanten
bestand, erinnerten wir uns an die Zeit.
    Wie lange wir noch von einem Band
zum anderen, von Bild zu Bild weitersuchten, konnte ich nicht ermessen. Die
unveränderliche und stillstehende goldene Zeit, welche die Bilder und Geschichten
vor unseren Augen sichtbar werden ließen, schien sich mit der schimmeligen,
feuchten Zeit zu vermischen, die wir in der Schatzkammer verbrachten. Es war,
als ob die bemalten Seiten, die jahrhundertelang in den Buchmalerwerkstätten
so vieler Schahs, Chane, Prinzen und Sultane entstanden und so lange Zeit in
den Truhen verborgen geblieben waren, nun die uns umgebenden Helme, die
Schwerter und Dolche mit diamantenem Griff, die Panzer, die Schalen aus dem
fernen China und die zarten, staubigen Uds, die perlenbestickten Kissen und die
Kelims, deren Gegenstück wir tatsächlich in den Büchern gesehen hatten, und
auch alle Arten von Pferden zum Leben erwecken und in Bewegung setzen würden.
    »Viele Jahrhunderte lang haben
Tausende von Illustratoren still und heimlich stets die gleichen Bilder gemalt
und so, wie ich jetzt begreife, die stille, schleichende Verwandlung dieser
Welt in eine andere im Bilde festgehalten.«
    Ich muß zugeben, daß ich nicht ganz
verstanden habe, was der große Meister sagen wollte. Die Aufmerksamkeit
jedenfalls, mit der er Tausende von Bildern bedachte, die man während der
letzten zweihundert Jahre von Buchara bis Herat, von Täbris bis Bagdad und bis
hinauf nach Istanbul gemalt hatte, galt längst nicht mehr nur den Nüstern der
Pferde auf der Suche nach einem besonderen Merkmal. Unser Tun hier glich einer
wehmütigen Zeremonie, bei der wir die Inspiration, die Fähigkeiten und die
Geduld all jener Meister bewunderten, die seit Jahrhunderten in diesen Landen
gemalt und ornamentiert hatten.
    Als dann zur Stunde des Abendgebets
die Tür der Schatzkammer geöffnet wurde und Meister Osman erklärte, er habe
kein Verlangen, hinauszugehen, er könne die ihm vom Padischah gestellte
Aufgabe nur erfüllen, wenn er bis zum Morgen hier beim Licht der Kerzen und
Lampen Bilder anschaue, sagte ich, ohne nachzudenken, ich würde auch bleiben,
mit ihm – und mit dem Zwerg.
    Ich bereute es jedoch, sowie das Tor
aufging, unser Meister den draußen wartenden Aghas unseren Entschluß mitteilte
und um die

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