Pamuk, Orhan
doch in unserem Land so viel Schönes gibt, dieses Bild der
Schande? Willst du, daß es uns Schande bringe?«
»Nein, nur deshalb, weil ein Bild
eurer schlechten Zustände mehr Geld bringt«, erklärte der Ungläubige, und wir
beiden Gottesnarren staunten über die Verstandeskraft dieses Malers.
»Würdest du auch den Teufel in gutem
Licht erscheinen lassen, wenn es mehr Geld bringt?« fragte der Hodscha Efendi
schlau und versuchte, ein Streitgespräch anzufangen, doch der fränkische Maler
ging nicht darauf ein, er war, wie man aus diesem Bild ersehen kann, ein wahrer
Künstler, der sich nicht mit leerem Geschwätz, sondern nur mit seinem Werk und
dem Gewinn daraus beschäftigte.
So malte er unser Bild, legte es in
die Ledermappe hinter dem Sattel seines Pferdes und kehrte zurück in seine
ungläubige Heimat. Doch weil des Osmanen siegreiches Heer jene Stadt am Ufer
der Donau eroberte und plünderte, kamen wir, siehe da, nach Istanbul zurück
und landeten in der Schatzkammer. Von dort aus wanderten wir, immer wieder
betrachtet und kopiert, von diesem und jenem heimlichen Musterheft in dieses
und jenes Buch und kamen schließlich in das fröhliche Kaffeehaus hier, wo der
Kaffee als ein belebendes Elixier getrunken wird. Nun denn:
EINE KURZE ABHANDLUNG ÜBER DAS BILD, DEN TOD UND UNSEREN PLATZ IN DER WELT
Jener Hodscha Efendi, von dem wir eben sprachen,
hat an einer Stelle des dicken Buches, in dem er alle seine Predigten
aufschrieb, zu äußern geruht: Die Kalenderi-Derwische sind überflüssig auf der
Welt, denn die Menschen der Welt werden in vier Kategorien eingeteilt: 1.
Herren, 2. Kaufleute, 3. Bauern, 4. Künstler. Sie sind in keiner vertreten und
daher überflüssig.
Weiterhin äußerte er noch: »Sie
wandern zu Paaren umher und streiten sich ständig darum, wer von ihnen mit dem
einzigen Löffel, den sie besitzen, zuerst aus der Schüssel essen wird, doch wer
nicht weiß, daß dies nur eine listige Anspielung auf ihre eigentliche
Streitfrage ist, nämlich, wer wen zuerst beschlafen wird, der lacht darüber,
ohne es richtig zu verstehen.« Der hochwürdige Um-Himmels-willen-kein-Mißverständnis-Hodscha
hat unser Geheimnis entziffert, weil er wie wir und alle schönen Knaben und
Lehrlinge und die Gemeinschaft der Illustratoren unser Weggenosse auf dem
gleichen Pfad ist.
DAS EIGENTLICHE GEHEIMNIS
aber liegt darin: Der ungläubige Franke
schaute uns so freundlich und eingehend an, während er unser Bild malte, daß
wir ihn mochten und Gefallen daran fanden, von ihm abgebildet zu werden. Er machte
einen Fehler, als er die Welt mit bloßem Auge betrachtete und malte, was er
sah, denn auf diese Weise zeichnete er uns wie Blinde, obwohl wir sehen können,
doch es machte uns nichts aus. Jetzt sind wir sehr zufrieden. Dem Hodscha
Efendi nach sind wir in der Hölle, einige Nichtgläubige meinen, wir sind
verrottete Leichen, und ihr, die kluge, hier versammelte Gemeinschaft der Illustratoren,
ihr meint, wir sind ein Bild, und weil wir ein Bild sind, stehen wir hier vor
euch, als seien wir ganz munter und lebendig. Nach unserer Begegnung mit dem
erwähnten Hodscha waren wir auf dem Weg von Konya nach Sivas, übernachteten
dreimal und bettelten in acht Dörfern. Dann aber folgte eine so bitterkalte
Nacht mit dichtem Schneefall, daß wir beiden Gottesnarren uns umarmten,
einschliefen und erfroren. Kurz vor dem Sterben erblickte ich im Traum ein
Bild, das man von mir gemalt hatte, und sah, daß dieses, mein Abbild, nach
einem Dasein von Jahrtausenden ins Paradies einging.
51
Ich, Altmeister Osman
In Buchara erzählt man sich eine Geschichte,
die bis auf die Zeit des Chan Abdullah zurückgeht. Dieser usbekische Chan, ein
sehr mißtrauischer Herrscher, ließ es zwar zu, daß sich mehr als eines Malers
Pinsel an einem Bild beteiligte, mochte es aber ganz und gar nicht, daß sich
die Illustratoren gegenseitig auf die Bildseiten schauten und einander
kopierten. Denn auf diese Weise konnte, wenn ein Zeichenfehler begangen wurde,
der Schuldige unter den unbekümmert einander Kopierenden nicht herausgefunden
werden. Und noch wichtiger war, daß die voneinander stehlenden Buchmaler nach
einiger Zeit aus Faulheit lieber über die Schulter ihres Nebenmannes schauten
und noch einmal zu Papier brachten, was sie dort gesehen hatten, anstatt sich
zur Suche nach den Erinnerungen Allahs in der Dunkelheit zu zwingen. Aus
diesem Grund hieß der usbekische Chan mit Freuden zwei große Meister
willkommen, den einen aus Schiras im
Weitere Kostenlose Bücher