Pamuk, Orhan
Rot
getaucht war, einen Schrei der Bewunderung ausstieß, dann kamen Kara und der
Zwerg angelaufen, schauten mir über die Schulter und auf die wundervolle Seite,
und ich konnte mich nicht enthalten, ihnen etwas darüber zu erzählen.
»Dies hier ist das Rot des großen
Meisters Mirza Baba Imami von Täbris, dessen Geheimnis er mitnahm ins Grab. Er
verwendete es für den Rand des Teppichs, für das alevitische Emblem an dem Turban
des safawidischen Schahs, und seht, auf dieser Seite am Bauch eines Löwen und
hier auch für den Kaftan dieses hübschen Knaben. Nie hat Allah seinen Knechten
dieses herrliche Rot offen gezeigt in der Welt, es sei denn, er ließ ihr Blut
fließen, doch er verbarg es in seltenen Käfern oder zwischen den Steinen, damit
wir uns abmühen und es finden, dieses Rot, das wir mit bloßem Auge nur auf den
von Menschenhand geschaffenen Stoffen und auf den Bildern der allergrößten
Meister sehen können«, sagte ich und fügte hinzu: »Dank sei Ihm, der es uns
jetzt enthüllt hat.«
»Schaut her«, sagte ich lange
danach, als ich wieder einmal nicht an mich halten konnte, und zeigte ihnen ein
wunderschönes Bild, das zu jeder Sammlung von Liebespoesie gehören mochte, in
der von Freundschaft, Frühling und Glück die Rede ist. Wir sahen die Bäume in
ihrer Frühlingsblüte und Farbenfülle, Zypressen in einem paradiesgleichen
Garten und das Glück der Liebenden, die in jenem Garten Wein tranken und Verse
aufsagten, und wir meinten, den Duft der Frühlingsblüten und der zarten Haut
der Verliebten in der kalten, nach Schimmel und Staub riechenden Schatzkammer
zu spüren. »Seht einmal die grobe Ausführung der Zypresse hinter dem
Liebespaar, nachdem er ihre Arme, ihre schönen nackten Füße, ihre edle Haltung
und den Frohsinn der flatternden Vögel um sie herum so liebevoll eingefangen
hat!« sagte ich. »Das ist ein Bild des Lütfi von Buchara, der alle seine
Bilder unfertig ließ, weil er launisch und streitsüchtig war, der es in keiner
Stadt aushielt und sich mit allen Schahs und Chanen überwarf, weil er meinte,
sie verstünden nichts vom Malen. Ständig streitend, zog der große Meister von
dem Palast des einen Schahs zum nächsten und von einer Stadt zur anderen, ohne
einen Herrscher zu finden, dessen Buch seines, des Meisters, Könnerschaft wert
gewesen wäre, und endete schließlich in der Buchmalerwerkstatt eines
bedeutungslosen Fürsten hoch in den kahlen Bergen, wo er die letzten
fünfundzwanzig Jahre seines Lebens verbrachte, weil er meinte: ›Sein Land
mag klein sein, aber der Chan versteht die Malkunst.‹ Ob er aber wußte, daß
dieser unbedeutende Chan blind war, ist heute noch der Gegenstand von
Streitgesprächen und Scherzen.«
»Seht ihr diese Seite?« fragte ich
weit nach Mitternacht, und wieder eilten sie beide mit ihren Leuchtern in der
Hand herbei. »Dieses Buch aus Herat hat seit den Tagen der Timuriden bis heute
in hundertfünfzig Jahren zehnmal den Besitzer gewechselt.« Zu dritt lasen wir
unter meinem Vergrößerungslas auf der Kolophonseite die jedes Eckchen
ausfüllenden Signaturen, Widmungen, historischen Sätze, die über- und
ineinander gedrängten Namen von Sultanen, die sich im wahren Leben tödlich
bekämpft hatten: »Dieses Buch wurde mit Allahs Hilfe in Herat von der Hand des
Kalligraphen Sultan Veli, Sohn des Muzaffer von Herat, im Jahre achthundertneunundvierzig
der Hedschra für Ismet-üd Dünya, die Ehefrau des siegreichen Mohammed Cüki,
Bruder des Baysungur, des Beherrschers der Welt, vollendet.« Danach war es in
die Hände des Sultan Halil vom Weißen Hammel gelangt, dann in die seines Sohnes
Fürst Yakup, von dort zu dem usbekischen Sultanen im Norden, die sich alle eine
Zeitlang an dem Buch erfreuten, ein, zwei Bilder entfernten, einige andere
Bilder hinzufügten, vom ersten Besitzer angefangen, die Gesichter mit der
Schönheit ihrer Frauen bereicherten und stolz ihre Namen auf der Kolophonseite
eintrugen. Nach den Usbeken kam das Buch bei der Einnahme von Herat in die
Hände Sam Mirzas, der es seinem älteren Bruder Schah Ismail mit einer
besonderen Widmung schenkte, und nachdem Schah Ismail es nach Täbris gebracht
hatte, wo er es wiederum als Geschenk mit einer anderen Widmung herrichten
ließ, wurde er von dem hochseligen Sultan Selim dem Gestrengen auf dem Feld von
Çaldıran besiegt und sein Palast der Acht Paradiese in Täbris geplündert,
so daß, wie wir lesen konnten, am Ende das Buch mit den Kriegern des
siegreichen Sultans, die
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