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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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eines jungen hübschen und
klugen Schülers zu sein, und dies gilt umgekehrt für den Schüler, der einem
großen Meister bis zur Untertänigkeit und Hingabe dient, und mich erfüllt
Kummer für jene, denen dies vom Schicksal versagt blieb.
    Während ich in den Seiten blätterte,
rasch und doch ganz aufmerksam unendlich viele Vögel, Pferde, Krieger,
Liebende, Kamele, Bäume und Wolken besah, holte der glückliche Zwerg der Schatzkammer,
stolz und unbekümmert wie ein Schah aus alten Zeiten, der die Gelegenheit hat,
seine Schätze zu zeigen, immer wieder neue Bände aus den Truhen und legte sie
vor mich hin. Unter all den herrlichen und gewöhnlichen Bänden und Sammelalben
kamen aus verschiedenen Winkeln einer Eisentruhe zwei außergewöhnliche Werke
hervor, eines im Schiras-Stil weinrot eingebunden, der Einband des anderen in
Herat nach chinesischer Art mit dunklem Lack überzogen, deren Seiten einander
so ähnlich waren, daß ich zuerst glaubte, eins müßte vom anderen kopiert worden
sein. Ich versuchte, herauszubekommen, welches das Original und welches die
Kopie war, prüfte die Namen der Kalligraphen im Kolophon, suchte nach
heimlichen Signaturen und begriff schließlich mit Schaudern, daß beide dieser
Nizami-Bände die legendären Werke des Altmeisters Scheich Ali von Täbris für
den Schah Cihan, den Chan vom Schwarzen Hammel, und für Hasan den Langen, den
Chan vom Weißen Hammel, waren. Als der Schah vom Schwarzen Hammel den großen
Meister blenden ließ, damit er für niemand anders ein zweites Werk wie das
erste anfertigen konnte, war jener zu dem Chan vom Weißen Hammel geflohen und
hatte für ihn ein noch schöneres aus dem Gedächtnis geschaffen. Die blind
gemalten Bilder in dem zweiten der legendären Bücher waren schlichter und reiner,
in dem ersten waren jedoch die Farben lebendiger und kräftiger, was mir
bewußtmachte, daß die Erinnerungen der Blinden die gnadenlose Einfachheit des
Daseins hervorheben und dabei seine Lebenskraft abtöten.
    Da ich ein wahrhaft großer Meister
war, wußte ich, daß es von Allah dem Allmächtigen, der alles sieht und alles
weiß, auch mir bestimmt sein würde, eines Tages zu erblinden, aber wollte ich
dies jetzt? So bat ich Allah gleich einem zum Tode Verurteilten, der sich vor
dem Köpfen noch ein letztes Mal umschauen möchte: »Laß mich alle diese Bilder
sehen, bis meine Augen sich satt gesehen haben!«, denn ich fühlte Allahs
Gegenwart sehr nahe in der prachtvollen, schrecklichen Dunkelheit der
vollgestopften Schatzkammer.
    Wie durch Seinen unerforschlichen
Ratschluß stieß ich beim Umblättern der Seiten allenthalben auf Erzählungen von
der Blindheit und ihren Folgen. Scheich Ali Rıza von Schiras hatte in der
berühmten Szene von Şirin, die auf ihrem Ausritt ins Freie Hüsrevs Bildnis
an dem Zweig einer Platane entdeckt und sich darin verliebt, alle einzelnen
Blätter des Baumes gemalt, so daß sie den ganzen Himmel ausfüllten, und als
Antwort auf den Einwand eines törichten Betrachters, das eigentliche Thema
hier sei doch nicht die Platane, hatte Scheich Ali Rıza begonnen, den
gleichen Baum nochmals auf einem Reiskorn und wieder mit jedem einzelnen
Blatt darzustellen, um voller Stolz zu beweisen, daß das eigentliche Thema des
Illustrierens nicht die Leidenschaft eines schönen Mädchens, sondern die des
Illustrators ist. Wenn mich die hochmütig unter die hübschen Füße einer der
lieblichen Hofdamen Şirins gesetzte Signatur nicht täuschte, sah ich hier
vor mir den prachtvollen Baum des blinden Buchmalermeisters, natürlich auf dem
Papier und nicht auf dem Reiskorn, wo er unfertig blieb, weil der Meister
siebeneinhalb Jahre nach Beginn jener Arbeit sein Augenlicht verlor. Auf einem
anderen Blatt war die Blendung Isfandiars durch Rüstems gabelspitzigen Pfeil so
lebhaft und farbenprächtig nach Art jener Illustratoren wiedergegeben, denen
die Methoden des Landes Indien vertraut sind, daß die Blindheit, des echten
Malkünstlers ewige Sorge und heimlicher Wunsch, hier dem Schauenden wie der
Auftakt zu einer frohen Feier erschien.
    Ich betrachtete all diese Bilder und
Bände nicht nur mit der Begeisterung dessen, der die jahrelang nur vom
Hörensagen gekannten Legenden mit eigenen Augen sieht, sondern auch mit der
bangen Besorgnis eines Greises, der die herannahende Blindheit spürt. Wenn ich
in der kalten Schatzkammer, die von den Stoffen, der Farbe des Staubes und dem
seltsamen Kerzenlicht der Leuchter in ein dunkles, nie zuvor erblicktes

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