Pamuk, Orhan
von damals betrachtet hatte, oder
auch, weil wir nicht sicher sein konnten, ob sie wirklich von Behzat stammten.
Die schimmeldurchsetzte,
schwerlastende Dunkelheit der Schatzkammer schien heller geworden zu sein. Und
die so schön gezeichnete Hand verschmolz in meiner Vorstellung mit jenem
herrlich schlanken Arm, auf dem ich kurz zuvor die drei eingebrannten Liebesmale
erblickt hatte. Ich pries Allah für seine Gnade, mir diese Schönheiten zu
zeigen, bevor ich blind wurde. Woher ich von meiner bevorstehenden Blindheit wußte?
Ich weiß es nicht! Kara, der sich mit dem Leuchter in der Hand zu mir gesellt
hatte, schaute wie ich auf das Bild, und ich meinte einen Augenblick lang, ich
könne zu ihm von meiner Ahnung sprechen, doch etwas ganz anderes kam aus meinem
Mund.
»Sieh nur, wie schön die Hand gemalt
wurde!« sagte ich. »Es ist Behzat.«
Unwillkürlich griff ich nach Karas
Hand, so wie ich in meiner Jugendzeit die Hand eines der sanften, hübschen,
samthäutigen Lehrlinge gehalten hatte, die ich, jeden für sich, liebte. Seine
Hand war glatt und fest und wärmer als meine, die von Adern durchzogene Seite
des Gelenks da, wo der Arm ansetzte, fein und breit, wie ich es mochte. Bevor
ich in meinen jungen Jahren die Hand eines Lehrbuben in die meine nahm und ihm
erklärte, wie er den Pinsel halten mußte, hatte ich ihm liebevoll in die
hübschen, furchtsamen Augen geschaut. So blickte ich jetzt Kara an. Ich sah,
wie sich die Kerzenflamme des Leuchters, den er in seiner Hand trug, in seinen
Pupillen spiegelte. »Wir Illustratoren sind alle Brüder«, sagte ich. »Doch nun
wird alles enden.«
»Wie das?«
Ich hatte dieses: »Doch nun wird
alles enden« wie einer der alten Meister gesagt, der seine Jahre einem Chan,
einem Prinzen geopfert, in dessen Buchmalerwerkstatt nach alter Überlieferung
Wunder geschaffen, ja der Werkstatt sogar einen Stil eingebracht hatte und der
wußte, daß die neuen Herren, wenn die letzte Schlacht seines Protektors
verloren war und die feindlichen Krieger die Stadt plünderten, seine eigene
Werkstatt auflösen, die Einbände seiner Bücher zerreißen, die Seiten
durcheinanderbringen und all die Details der Malerei, an die er glaubte, die
er selbst erfunden hatte und wie das eigene Kind liebte, herabsetzen und
zerstören würden. Doch Kara mußte ich das auf eine andere Art und Weise
erklären.
»Dies ist das Bildnis des großen
Poeten Abdullah Hatifi«, sagte ich. »Hatifi war ein so großer Poet, daß er sich
nicht vom Fleck rührte, als Schah Ismail Herat einnahm und jeder zu ihm
hinlief, um sich lieb Kind zu machen, doch Schah Ismail ging zu ihm, legte den
ganzen Weg bis zu seinem Haus draußen vor der Stadt zurück. Daß es sich hier um
Hatifis Bildnis handelt, sagt uns die Beschriftung unter dem Bild, nicht aber
das von Altmeister Behzat gezeichnete Gesicht, nicht wahr?«
Kara blickte mich an, und seine
schönen Augen sagten »Ja«. »Wenn wir das Gesicht auf dem Bild betrachten«, fuhr
ich fort, »sehen wir, daß es nur ein Gesicht wie alle anderen ist. Wäre der
selige Abdullah Hatifi jetzt hier bei uns, könnten wir ihn nicht an dem Gesicht
auf dem Bild erkennen, wohl aber aus dem Ganzen der Darstellung: In der
Stimmung des Bildes, in Hatifis Haltung, in den Farben, in der Vergoldung und
in der von Meister Behzat gezeichneten schönen Hand ist etwas, was uns sofort
an das Bildnis eines Poeten denken läßt. Denn in unserer Malerei kommt die
Bedeutung vor der äußeren Form. Wenn man in Nachahmung der fränkischen Meister
zu malen beginnt, wie jetzt in dem Buch, das unser Padischah dem seligen Oheim
in Auftrag gab, dann wird diese ganze Bedeutungswelt enden und die Welt der
Form ihren Anfang nehmen; doch mit der fränkischen Methode –«
»Mein seliger Oheim wurde ermordet«,
sagte Kara barsch.
Ich streichelte Karas Hand, die in
meiner lag, achtungsvoll, als wär's die kleine Hand eines Lehrlings, der
künftig Meisterwerke zeichnen könnte. Eine Zeitlang betrachteten wir schweigend
Behzats herrliches Werk. Dann zog Kara seine Hand aus der meinen.
»Wir haben die vorhergehende Seite
schnell umgeblättert, ohne auf die Nüstern der rotbraunen Pferde zu achten«,
sagte er.
»Dort war nichts«, meinte ich und
blätterte zurück, damit er es sah: An den Nüstern der Pferde gab es keine
Besonderheit.
Und Kara fragte wie ein Kind: »Wann
werden wir die Pferde mit den seltsamen Nüstern finden?«
Doch irgendwann zwischen Mitternacht
und Morgen, als der Zwerg und ich das
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