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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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bestätigte, daß Behzat blind war, als er die letzten Lebensjahre nach seiner
Verstoßung aus Herat in Täbris verbrachte. Auf diese Weise verstand ich einmal
mehr voll Freude, daß der große Künstler, als er nach lebenslanger Mühe zur
Vollkommenheit der alten Meister gelangt war, sich selbst geblendet hatte, um
die Trübung seiner Malkunst durch die Forderungen irgendeines anderen Schahs
und seiner Buchmalerwerkstatt zu verhindern.
    Gerade da schlugen Kara und der
Zwerg einen dicken Band auf und legten ihn vor mich hin.
    »Nein, das nicht«, sagte ich, aber
nicht unfreundlich. »Es ist ein mongolisches Buch der Könige: Als die
mit Naphtha gefüllten eisernen Pferde Alexanders mit ihren eisernen Reitern
darauf angezündet werden, brennen sie wie Lampen und greifen den Feind mit feuerspeienden
Nüstern an.«
    Wir betrachteten dieses Heer in
Flammen, die chinesischen Bildern entlehnt waren.
    »Cesmi Agha«, sagte ich, »die
Geschenke der persischen Gesandten, die vor fünfundzwanzig Jahren dieses Buch
des Schah Tahmasp mitbrachten, haben wir später in der Chronik des Sultan
Selim abgebildet ...«
    Er fand die Chronik des Sultan
Selim sofort und brachte sie mir. Gegenüber der lebhaft kolorierten Seite,
welche das Überreichen des Buchs der Könige mit den übrigen Gaben an den
seligen Sultan Selim zeigt, fand mein Auge wie von selbst unter den einzeln aufgeführten
Geschenken das, was ich einst gelesen, doch vergessen hatte, weil ich es nicht
glauben mochte:
    die goldene Federbuschnadel mit dem
Griff aus Türkisen und Perlmutter, die der Meister der Meister unter den
Altmeistern von Herat, der Illustrator Behzat, benutzt hatte, um sich selbst zu
blenden.
    Ich fragte den Zwerg, wo er die Chronik
des Sultan Selim gefunden hatte. Wir zwängten uns in der staubigen
Finsternis der Schatzkammer an Truhen, Haufen von Stoffen und Teppichen vorbei,
zwischen Schränken und unter Treppen hindurch. Ich sah unsere Schatten länger
und kürzer werdend über Schilde, Elfenbein und Tigerfelle dahingleiten. In
einer der Seitenkammern, die in das gleiche seltsame Rot von Samt und Tuch
getaucht war, sah ich, neben der eisernen Truhe, welche die Chronik des
Sultan Selim enthalten hatte, zwischen anderen Büchern, gold- und
silberbestickten Decken, rohen Ceylon-Steinen und rubinbesetzten Dolchen, auch
einige der anderen Gaben des Schah Tahmasp, Seidenteppiche aus Isfahan und ein
Schachspiel mit Elfenbeinfiguren und bemerkte dann einen Schreibzeugkasten, der
mit Motiven aus der Zeit der Timuriden, einem chinesischen Drachen, Zweigen
und einer Rosette aus Perlmutterintarsien geschmückt war. Ich öffnete das
Kästchen und fand darin, eingehüllt in leicht angebranntes Papier und Rosenduft,
die Federbuschnadel mit dem Griff aus Türkisen und Perlmutter, nahm sie heraus
und glitt wie ein Schatten zurück an meinen Platz.
    Allein geblieben, legte ich die
Nadel, mit der sich Meister Behzat geblendet hatte, auf die offene Seite des Buchs
der Könige und schaute sie an. Schon allein der Anblick irgendeines von
seiner Hand berührten Gegenstandes war es, der mich schaudern ließ, nicht nur
der dieser Nadel, des Instruments seiner Blendung.
    Warum hatte Schah Tahmasp diese
furchtbare Nadel zugleich mit dem Buch an Sultan Selim übersandt? Weil der
Schah, der in seiner Kindheit Behzats Schüler gewesen war, in jungen Jahren den
Illustratoren Ehren erwiesen, sich aber mit zunehmendem Alter aus der Nähe der
Poeten und Maler zurückgezogen und der frommen Andacht ergeben hatte? War er
deswegen bereit gewesen, dieses wundervolle Buch, das in zehn Jahren
vollbrachte Werk der größten Meister, aus der Hand zu geben? Hatte er diese
Nadel mit dem Buch zusammen gesandt, damit jeder wisse, daß des Buchmalermeisters
Ende die freigewählte Blindheit war, oder weil er sagen wollte, wie man sich
früher einmal erzählte, daß derjenige, der die Seiten dieses legendären Buches
einmal sah, in der ganzen Welt nichts anderes mehr sehen wollte?
    Mir kamen jene Geschichten in den
Sinn, die von alt gewordenen und hoffnungslos enttäuschten Illustratoren
erzählt wurden: Ehe die Truppen des Herrschers Schah Cihan vom Schwarzen Hammel
in Schiras eindrangen, habe Ibn Hüsam, der Erste Illustrator der Stadt,
erklärt: »Ich male nicht auf andere Weise!« und sich von seinem Lehrling die
Augen ausbrennen lassen. Als das Heer Sultan Selims des Gestrengen Schah Ismail
besiegte, Täbris einnahm und den Palast der Acht Paradiese plünderte, war unter
den Illustratoren,

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