Pamuk, Orhan
legendäre Buch der Könige des
Schah Tahmasp in einer Eisentruhe unter grünem Atlas entdeckten, hatte sich
Kara auf einem roten Teppich aus Uşak
zusammengerollt, seinen gutgeformten Kopf auf ein perlenbesticktes Samtkissen
gelegt und war eingeschlafen. Mir aber wurde klar, sowie ich das legendenumwobene
Buch nach all den Jahren wiedersah, daß für mich der Tag erst neu begann.
Das Werk war so umfangreich und
schwer, daß Cesmi Agha und ich es nur mit Mühe aufheben und forttragen konnten.
Als ich den Ledereinband berührte, den ich vor fünfundzwanzig Jahren nur von
weitem gesehen hatte, wurde mir klar, daß er mit Holz unterfüttert war. Schah
Tahmasp war damals, vor fünfundzwanzig Jahren, über den Tod Sultan Süleymans
des Prächtigen, der Täbris dreimal besetzt hatte, hoch erfreut gewesen, weil er
meinte, endlich von diesem Padischah befreit zu sein, und sandte deshalb
Kamele mit Geschenken beladen an dessen Nachfolger, Sultan Selim, worunter sich
außer einem wundervollen Koran auch dieses hier, das schönste Buch des
Schatzes, befand. Das Buch ging zuerst mit einer Gesandtschaft von dreihundert
Persern nach Edirne, wo der neue Padischah den Winter auf der Jagd verbrachte,
und als es dann zusammen mit den anderen Geschenken auf dem Rücken von Kamelen
und Maultieren in Istanbul eintraf, gingen wir zu viert, der Erste Illustrator
Kara Memi und drei junge Meister, das Buch besichtigen, bevor es in der
Schatzkammer eingeschlossen wurde. Als wir an jenem Tag zum Saray eilten, so
wie die Istanbuler gelaufen kommen, um einen Elefanten aus Indien oder eine
Giraffe aus Afrika zu bestaunen, hörte ich von Altmeister Kara Memi, daß der
große Meister Behzat im hohen Alter von Herat nach Täbris gegangen sei, doch an
diesem Buch nicht mitgewirkt hatte, weil er blind geworden war.
Für uns osmanische Illustratoren,
die wir ganz durchschnittliche Bücher mit sieben oder acht Bildern bewunderten,
glich zu jener Zeit der Einblick in dieses Werk mit seinen zweihundertfünfzig
riesigen Abbildungen dem Gang durch einen prachtvollen Palast, während dessen
Einwohner schliefen. Wir hatten die unglaublich reichen Seiten des Buches
ehrfürchtig und ohne ein Wort zu sprechen betrachtet, als seien es die Gärten
des Paradieses, die für einen flüchtigen Augenblick sichtbar geworden waren.
Während der folgenden fünfundzwanzig
Jahre hatten wir über dieses in der Schatzkammer verschlossene Buch gesprochen.
Nun öffnete ich nach Ablauf dieser
Zeit lautlos den starken Deckel des sagenhaften Buchs der Könige gleich
dem riesigen Tor eines Palastes, doch während ich dem angenehmen Rascheln der
Seiten beim Umblättern lauschte, erfüllte weniger Bewunderung als Trauer mein
Herz.
1. Wegen des Gerüchts, dem zufolge
alle Istanbuler Buchmalermeister etwas aus den Seiten dieses Buches gestohlen
und für sich verwendet hätten, konnte ich den Bildern nicht meine volle Aufmerksamkeit
schenken.
2. Weil ich meinte, irgendwo doch
noch auf eine von Behzat gezeichnete Hand zu stoßen, war ich nicht imstande, mich
ganz den Wundern hinzugeben, die sich auf fünf oder sechs der Seiten darboten.
(Mit welcher Entschlossenheit und Grazie Tahmuras seinen Morgenstern auf die
Köpfe der Teufel und Dämonen niedersausen ließ, die ihm später in
Friedenszeiten das Alphabet, die griechische und verschiedene anderen Sprachen
beibringen sollten!)
3. Auch die Nüstern der Pferde und die
Anwesenheit Karas und des Zwerges waren ein Hindernis, mich vollkommen dem zu
widmen, was ich sah.
Welch ein großes Glück es auch sein
mochte, sich dank der unermeßlichen Gnade Allahs an diesem legendären Buch
satt sehen zu dürfen, bevor sich der Samtvorhang der Dunkelheit, der allen großen
Illustratoren wie eine Wohltat von Ihm beschieden war, über meine Augen senkte,
so traurig war es natürlich andererseits, daß ich es weniger mit dem Herzen als
mit dem Verstand betrachtete. Bis das Morgenlicht das zunehmend einer eiskalten
Grabkammer gleichende Schatzhaus erreichte, hatte ich alle zweihundertneunundfünfzig
(nicht fünfzig) Bilder des unvergleichlichen Werkes gesehen. Ich schaute mit
dem Verstand, und wie die arabischen Weisen, die dem Verstand geneigt sind,
möchte ich noch einmal unterscheiden:
1. Ich konnte nirgends ein Pferd
finden, dessen Nüstern der Zeichnung des gemeinen Mörders glichen; nicht unter
den vielfarbigen Pferden, die Rüstem bei seiner Verfolgung der Pferdediebe in
Turan begegneten; noch unter den wundervollen Pferden Schah
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