Pamuk, Orhan
Feriduns, der
gegen das Verbot des arabischen Sultans mit ihnen den Tigris durchschwamm; noch
unter den Grauschimmeln, die kummervoll von weitem zuschauten, als Tur
heimtückisch und verräterisch seinem jüngeren Bruder Iren aus Eifersucht den
Kopf abschlug, weil ihr Vater bei der Teilung der Länder dem einen Sohn das
ferne Rum, dem anderen das noch fernere China, Ireç aber, dem jüngsten, Iran, das
schönste Land, überlassen hatte; auch nicht unter den Pferden des heldenhaften
Heeres des großen Alexander mit seinen Hilfstruppen aus Chasaren, Ägyptern,
Berbern und Arabern, alle in Rüstungen, mit Eisenschilden, bruchfesten
Schwertern und schimmernden Helmen; noch an dem Wasserpferd der Sage, das Schah
Yazdgird unerwartet durch Allahs gerechten Willen am Ufer des Grünen Sees zu
Tode trat, in dessen heilsamen Wassern der Schah Linderung suchte für seine
unaufhörlich blutende Nase, der Strafe Allahs für seine Auflehnung gegen das
ihm bestimmte Schicksal, und auch nicht unter all den Pferden aus Legende und
Wirklichkeit, die von sechs oder sieben Illustratoren gezeichnet worden waren.
Doch mir blieb noch mehr als ein Tag, um die anderen Bücher des Schatzes
anzuschauen.
2. Es gibt eine Behauptung, über die
während der letzten fünfundzwanzig Jahre ständig geredet wurde: Ein
Illustrator sei mit besonderer Erlaubnis des Sultans in die unzugängliche
Schatzkammer gelangt, habe dieses herrliche Werk gefunden, aufgeschlagen und
beim Schein der Kerze viele der Pferde, Bäume, Wolken, Blumen, Vögel, Gärten,
der Kriegs- und Liebesszenen in sein Musterheft übertragen und später davon
Gebrauch gemacht ... Jedesmal, wenn ein Buchmaler etwas Wundervolles,
Erstaunliches hervorbrachte, kam durch die Eifersucht der anderen dieses Gerede
auf, und wenn er aus Täbris kam, wurde es auch deshalb behauptet, um seine Leistung
als nur eine persische Arbeit herabzusetzen. Täbris gehörte zu damaliger Zeit
nicht zu den Ländern unseres Padischahs. Auch ich bekam zu hören, daß man mich
dessen beschuldigte, und war zu Recht zornig und heimlich stolz darauf gewesen,
doch wenn der Vorwurf andere traf, hatte auch ich daran geglaubt. Seltsamerweise
erkannte ich jetzt voll Trauer, daß wir, die vier Buchmaler, die dieses Werk
fünfundzwanzig Jahre zuvor ein einziges Mal gesehen hatten, es uns an jenem Tag
ins Gedächtnis eingezeichnet, uns all die folgenden Jahre hindurch mit
ständigen Veränderungen in unserem Kopf daran erinnert und es in den Büchern
unseres Padischahs dargestellt hatten. Was mich grämte, war nicht die
Grausamkeit überängstlicher Sultane, die uns dieses Buch und andere aus dem
Schatz vorenthielten, sondern die Beschränktheit unserer eigenen Welt der
Malerei. Ob es nun die großen Altmeister von Herat oder die neuen Meister von
Täbris waren – die persischen Künstler hatten Bilder und Meisterwerke von
größerer Vollkommenheit geschaffen als wir, die osmanischen Illustratoren.
Plötzlich dachte ich, wie gut es
wäre, wenn alle Buchmaler mit mir zwei Tage später gefoltert würden, und
kratzte auf dem ersten Bild, das mir unter die Hand kam, mit der Spitze meines
Schärfmessers in einem Gesicht die Augen aus. Es war die Erzählung von dem
persischen Weisen, der das Schachspiel durch Anschauen des Schachbretts und der
Steine erlernte, welche der indische Gesandte aus seinem Land mitgebracht
hatte, und sogleich nach dem Erlernen den indischen Meister im Spiel besiegte!
Persische Lüge! Auch die Augen der Schachspieler, des Schahs und all seiner
Männer, die zuschauten, kratzte ich einzeln aus. Ich blätterte die Seiten
zurück und kratzte auch den gnadenlos kämpfenden Schahs, den prächtig
gepanzerten Soldaten der prunkvollen Heere und den abgeschlagenen Köpfen am
Boden gnadenlos jedes einzelne Auge aus. Nachdem ich dies an drei Seiten
ausgeführt hatte, steckte ich mein Schärfmesser zurück in die Schärpe.
Meine Hände zitterten, doch ich
fühlte mich nicht allzu schuldig. Begriff ich nun, was so viele närrische
Wirrköpfe nach diesem seltsamen Tun empfanden, dem ich in meiner
fünfzigjährigen Buchmalerzeit so oft begegnet war? Ich wollte, es würde Blut
aus den von mir zerkratzten Augen auf die Seiten des Buches laufen!
3. Und das bringt mich zu der Pein und
dem Trost am Ende meines Lebens. Behzats Rohrstift hat dieses Buch, für das
Schah Tahmasp zehn Jahre lang die besten persischen Meister arbeiten ließ,
nicht berührt, keine seiner schönen Hände war irgendwo als Zeichnung zu sehen.
Es
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