Pamuk, Orhan
die man nach Istanbul mitnahm, ein alter persischer
Meister, der, wie man im nachhinein vorbrachte, nicht auf der Reise erkrankt
sei, sondern sich durch das Einnehmen von Medizin selbst geblendet habe, weil
er meinte, er könne niemals nach osmanischer Art malen. Ich aber beschrieb
meinen Illustratoren, wenn sie über irgend etwas aufgebracht waren, als
Beispiel, wie Behzat sich selbst geblendet hatte.
Gab es denn keinen anderen Weg?
Konnte der Meisterillustrator nicht eine ganze Buchmalerwerkstatt und den Stil
der alten Meister zumindest ein wenig bewahren, wenn er ganz am Rande hier und
da etwas von den neuen Methoden annahm?
An der sehr fein zulaufenden,
äußerst scharfen Spitze der Federbuschnadel saß ein dunkler Fleck, doch meine
alten Augen konnten nicht erkennen, ob es Blut oder etwas anderes war. Ich
richtete mein Vergrößerungsglas darauf und betrachtete die Nadel eine lange
Zeit so kummervoll, wie man eine traurige Liebesszene betrachtet. Dann
versuchte ich mir vorzustellen, wie Behzat die Tat vollbracht haben könnte. Wie
ich gehört hatte, würde das Augenlicht nicht auf der Stelle schwinden, würde
sich die samtige Dunkelheit ganz allmählich erst nach Wochen, ja Monaten
herabsenken, wie bei den alten Menschen, die von selbst erblinden.
Ich hatte ihn beim Betreten des
Nebenraumes erblickt, also stand ich auf und schaute nach: Ja, dort war er – ein elfenbeinerner Spiegel mit gedrechseltem Griff und einem starken Rahmen
aus Ebenholz, der blumengleich mit langen Schriftranken verziert war. Ich
setzte mich nieder und betrachtete meine Augen im Spiegel. Wie schön spielte
die Flamme des goldenen Leuchters auf meinen Pupillen, die sechzig Jahre lang
dem Malen zugeschaut und das Gemalte erblickt hatten!
Wie hat Altmeister Behzat das nur
getan? fragte ich mich noch einmal.
Mit der sicheren Geste einer Frau,
die ihre Augen schminkt, fand meine Hand von selbst die Nadel, ohne daß ich die
Augen vom Spiegel abwandte. Und ohne jedes Zögern stieß ich sie voll Mut, Ruhe
und Kraft in meine rechte Pupille, als stäche ich sie in ein Straußenei, das
ornamentiert werden sollte. Mir drehte sich der Magen um, weil ich sah, was ich
tat, nicht, weil ich es spürte. Ich stieß die Nadel bis zu einem Viertel
Fingerlänge in mein Auge und zog sie wieder heraus.
In dem Doppelvers auf dem Rahmen des
Spiegels in meiner Hand wünschte der Dichter dem, der in den Spiegel schaute,
ewige Schönheit und ewige Klarheit und dem Spiegel ein ewiges Leben.
Lächelnd tat ich das gleiche mit
meinem anderen Auge.
Lange Zeit blieb ich unbeweglich
sitzen. Ich betrachtete das All und jedes Ding darin.
Die Farben des Universums dunkelten
nicht, wie ich es vermutet hatte, sie schienen nur leicht ineinander zu verlaufen.
Doch ich konnte immer noch alles mehr oder weniger sehen.
Bald darauf fiel das blasse
Sonnenlicht auf die tiefroten, blutfarbenen Stoffe der Schatzkammer. Und
wieder brachen der Schatzmeister und seine Männer das Siegel mit der gleichen
Zeremonie, öffneten das Schloß und das Tor. Cesmi Agha tauschte die
Nachttöpfe, die Lampen und das Kohlenbecken aus, holte frisches Brot und
getrocknete Maulbeeren herbei und erklärte, wir würden weiterhin unter den
Büchern unseres Padischahs nach den Pferden mit seltsamen Nüstern suchen. Was
kann schöner sein als das Bemühen, sich des Universums so zu erinnern, wie
Allah es sah, während man die schönsten Bilder der Welt betrachtet?
52
Mein Name ist Kara
Als der Schatzmeister und die Aghas in der Frühe feierlich
das schwere Portal öffneten, waren meine Augen so sehr an den rotsamtenen
Schein in der Schatzkammer gewöhnt, daß ich in dem Licht des Wintermorgens, das
aus dem Hof des Enderun hereinströmte, etwas Erschreckendes zu sehen meinte,
das den Betrachter täuschen sollte. Ich rührte mich nicht von der Stelle,
gerade so wie Altmeister Osman. Schien es mir doch, als würde jene schimmelige,
staubige und schier greifbare Luft zusammen mit den Hinweisen, die wir
suchten, zum Tor hinausfliegen, sobald ich mich bewegte.
Altmeister Osman blickte merkwürdig
erstaunt in das Licht, das zwischen den Köpfen der zu beiden Seiten des offenen
Portals aufgereihten Aghas hereinfiel, ganz so, als würde er zum erstenmal etwas
Wundervolles sehen.
Während er sich nachts Bilder
anschaute, während er im Buch der Könige des Schah Tahmasp blätterte,
hatte ich ihn von weitem beobachtet und hin und wieder den gleichen Ausdruck
auf seinem Gesicht gesehen. Manchmal geriet sein
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