Pamuk, Orhan
während eines Ausritts auf
dem Rücken ihrer Pferde ausruhen. Als Şirin das Bild an einem Baum
inmitten des herrlichen Gartens entdeckt, verliebt sie sich sofort in den
stattlichen Hüsrev. Dieser Augenblick oder, wie's die Maler nennen, diese
Szene, die Şirins Überraschung und ihren bewundernden
Blick wiedergibt, den sie auf Hüsrevs Bild in den Zweigen richtet, ist häufig
dargestellt worden. Während der Arbeit mit meinem Vater hatte Kara diese Szene
sehr oft gesehen und sie einige Male, die Augen ständig darauf gerichtet, ganz
dem Vorbild entsprechend abgemalt. Als er sich dann in mich verliebte, malte er
sie noch einmal selbst. Doch anstelle von Hüsrev und Şirin gab er sich und
mich, Kara und Şeküre, im Bild wieder. Wären nicht unsere Namen darunter
aufgeführt gewesen, hätte nur ich allein gewußt, daß wir beide das Mädchen und
der Mann auf dem Bild sein sollten, denn manchmal malte er uns beide, wenn wir
miteinander scherzten, und stets mit den gleichen Zügen und in den gleichen
Farben – mich in Blau, sich selbst in Rot. Als sei dies nicht genug, mußte er
auch noch unsere Namen unter das Bild von Hüsrev und Şirin setzen! Danach
hatte er es wie ein Geständnis an einen Platz gelegt, wo ich es finden mußte,
und war fortgelaufen. Ich erinnere mich noch, daß er mich beobachtete, als ich
mir das Bild ansah, weil er sehen wollte, was ich daraufhin tun würde.
Da ich nur allzugut wußte, daß ich
mich nicht wie Şirin in
ihn verlieben konnte, ließ ich mir zunächst nichts anmerken. Erst an jenem
Sommerabend, an dem uns ein Kirschsaft zur Erfrischung dienen sollte, der
seine Kühle angeblich dem Eis vom fernen Uludağ verdankte, erzählte ich, nachdem Kara bereits
heimgegangen war, meinem Vater von seinem Liebesgeständnis. Kara hatte zu jener
Zeit gerade die Medrese verlassen und nun selbst ein Lehramt am Rande der Stadt
inne. Weniger aus eigenem Antrieb als vielmehr auf Drängen meines Vaters
versuchte er, sich dem sehr einflußreichen, hochangesehenen Naim Pascha zu
nähern. Nach Vaters Meinung schwebte Kara mit dem Kopf in den Wolken. Er
machte sich Gedanken, ob Kara von Naim Pascha anerkannt würde, ob er wenigstens
mit der Tätigkeit eines Schreibers beginnen könne, meinte aber, Kara tue recht
wenig dazu, um das zu erreichen, und treibe nur dummes Zeug. An jenem Abend
hatte er, auf uns beide gemünzt und ohne Rücksicht auf meine Mutter, gesagt:
»Die Augen deines mittellosen Neffen sind indessen auf etwas viel Höheres gerichtet.«
Und dann noch: »Er ist demnach klüger, als wir angenommen haben.«
Voller Trauer erinnere ich mich
daran, was mein Vater in den folgenden Tagen unternahm, wie ich Kara mied, wie
er zuerst unserem Haus und schließlich dem ganzen Viertel fernbleiben mußte,
doch ich mag nicht davon reden, denn ihr würdet uns nicht mehr mögen, meinen
Vater und mich. Glaubt mir doch, uns blieb keine andere Wahl. Die hoffnungslose
Liebe versteht, daß es hoffnungslos ist, auch das jeder Regel abholde Herz
begreift am Ende, wie's mit der Welt in Wirklichkeit steht, und verständige
Menschen entsagen in solchen Fällen auf vornehme Weise: »Man glaubte, wir
paßten nicht zueinander«, oder kurz und richtig: »So war es nun einmal!« Ich
muß aber darauf verweisen, daß meine Mutter einige Male sagte: »Brecht dem
Jungen doch wenigstens nicht das Herz!« Wobei der von meiner Mutter Junge
genannte Kara vierundzwanzig Jahre alt war und ich die Hälfte davon zählte. Mag
sein, daß Vater Karas Liebesgeständnis für anmaßend hielt und deshalb die
Bitte meiner Mutter willentlich mißachtete.
Wenn wir ihn auch nicht ganz
vergessen konnten, als wir die Nachricht von seiner Abreise aus Istanbul
erhielten, so hatten wir ihn doch gänzlich aus unserem Herzen vertrieben. Da
wir jahrelang aus keiner Stadt irgend etwas von ihm hörten, hatte ich es für
richtig gehalten, das mir gewidmete Bild als ein Andenken an die Kindheit und
unsere Kinderfreundschaft aufzubewahren. Damit sich jedoch erst mein Vater und
später auch mein Kriegergemahl nicht aufregten oder gar eifersüchtig wurden,
falls sie das Bild fanden, hatte ich die Namen Şeküre und Kara geschickt
mit Vaters Hasanpascha-Tinte überdeckt, als wären dort zu Blütchen
umgewandelte Tropfen gefallen. Da ich heute das Bild an Kara zurückgeschickt
habe, werden sich diejenigen unter euch, die mein plötzliches Erscheinen vor
ihm am Fenster zu meinen Ungunsten auslegen möchten, vielleicht ein bißchen
schämen, vielleicht ein
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