Pamuk, Orhan
mißtrauisch. Doch Allah
ließ sogleich vor uns eine leere Brandstätte und daneben einen ausgetrockneten
Brunnen auftauchen.«
Ich merkte an dieser Stelle, daß ich
das Weitere nicht erzählen konnte, und sagte es ihnen.
»Wäret ihr an meiner Stelle gewesen,
hättet ihr auch an das Wohl all der anderen Buchmalerbrüder gedacht und das
gleiche getan«, erklärte ich zuversichtlich.
Als ich hörte, daß sie mir recht
gaben, meinte ich, mir kämen die Tränen: Weil ihre Güte, die ich nicht
verdiente, mein Herz erweicht hatte, wollte ich sagen, doch so war es nicht.
Weil ich von neuem den Laut hörte, mit dem sein Körper auf dem Grund des
Brunnens aufschlug, nachdem ich ihn umgebracht und dort hineingeworfen hatte,
wollte ich sagen, doch so war es nicht. Weil ich mich daran erinnerte, wie
glücklich ich war, bevor ich ein Mörder wurde, und daß ich wie jeder andere
bin, wollte ich sagen, doch so war es nicht. Ein Blinder, der in meiner
Kindheit durch unser ärmliches Viertel gewandert war, stand mir wieder vor
Augen: Er zieht aus seinen schmutzigen Kleidern einen kupfernen Henkelbecher
hervor, der noch schmutziger ist, und ruft uns Kindern zu, die wir ihn dort
beim Brunnen des Viertels von weitem beobachten: »Meine Kinder, wer von euch wird
den Becher des blinden alten Mannes mit Wasser aus diesem Brunnen füllen?« Und
als sich niemand rührt: »Es ist eine gute Tat, meine Kinder, eine gute Tat!«
Die Farbe seiner Pupillen war gänzlich verblaßt gewesen und hatte dem Weißen
seiner Augen geglichen.
Erregt von dem Gedanken, jenem
blinden Alten zu gleichen, beschrieb ich in aller Eile, ohne dies richtig
genießen zu können, wie ich den Oheim Efendi umgebracht hatte. Weder erzählte
ich zuviel an Wahrheit noch zuviel an Lüge: Ich fand das richtige Maß bei beiden,
das mein Herz nicht allzusehr bedrückte, und erkannte, sie waren überzeugt
davon, daß ich das Haus des Oheims nicht aufgesucht hatte, um ihn zu töten: Sie
begriffen, wie ich es wünschte, daß es kein geplanter Mord gewesen war,
begriffen aber auch, daß ich mich lossprechen wollte, indem ich sagte, der
Mensch fährt nicht zur Hölle, wenn es keine böse Absicht gibt.
»Nachdem ich Fein Efendi den Engeln
Allahs überlassen hatte«, sagte ich nachdenklich, »begannen die Worte des
Verblichenen, die er im letzten Augenblick ausgesprochen hatte, wie ein Wurm in
meinem Inneren zu nagen. Daß meine Hand des letzten Bildes wegen mit Blut
besudelt war, erhöhte seine Bedeutung in meinen Augen. Ich suchte deinen Oheim
auf, der niemanden mehr für die Arbeit an dem Buch zu sich rief, um mir das
letzte Bild von ihm zeigen zu lassen. Er zeigte es mir nicht und benahm sich
außerdem so, als sei alles in bester Ordnung. Es gebe weder ein geheimnisvolles
Bild, um dessentwillen man einen Mord begehe, noch etwas anderes dieser Art!
So gestand ich, den Fein Efendi ermordet und in den Brunnen geworfen zu haben,
damit er mich nicht so verachtete, sondern mich ernst nahm. Er nahm mich ernst,
hörte aber trotzdem nicht auf, mich zu erniedrigen. Wer seinen Sohn erniedrigt,
kann nicht Vater sein. Altmeister Osman geriet sehr in Zorn über uns, er schlug
uns, aber er hat uns nie erniedrigt. Es war ein Fehler von uns, meine Brüder,
daß wir ihn hintergangen haben.«
Ich lächelte meinen Brüdern zu, die
mir aufmerksam in die Augen blickten, als lauschten sie meinen letzten Worten
auf dem Totenbett. Und wie es ein sterbender Bruder empfinden würde, so
verschwamm ihr Bild immer mehr vor meinen Augen, und sie entfernten sich von
mir.
»Deinen Oheim habe ich aus zwei
Gründen getötet. Einmal, weil er den großen Altmeister Osman zwang, den
fränkischen Malkünstler Sebastiano nachzuäffen. Zweitens, weil ich mir die
Blöße gab, ihn zu fragen, ob ich einen Stil hätte.«
»Was sagte er?«
»Er meinte, ich hätte einen Stil.
Was für ihn natürlich keine Beleidigung, sondern ein Lob bedeutete. Ich
erinnere mich, wie ich plötzlich voll Scham überlegte, ob es wohl auch für mich
ein Lob sei. Ich sehe zwar im Stil etwas Niedriges, Unehrenhaftes, andererseits
nagt die Sache an mir. Ich will nichts wissen vom Stil, doch der Teufel reizte
mich, und ich war neugierig.«
»Jeder wünscht sich heimlich einen
Stil«, erklärte Kara überheblich. »Jeder möchte auch ein Porträt von sich
malen lassen, so wie unser Padischah.«
»Ist das ein unvermeidliches Übel?«
fragte ich. »Wenn sich diese Krankheit ausbreitet, wird keiner von uns den
Methoden der fränkischen Meister
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