Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
Vom Netzwerk:
Erzurumer
Feinden und den Eiferern, die euch beschuldigen, recht zu geben. Auf der
anderen Seite könnt ihr nicht behaupten, die reinsten Unschuldslämmer zu sein,
denn das hieße wiederum, daß ihr auf den schwindelerregenden Stolz, etwas
Geheimes und Verbotenes zu tun, auf eure vornehme Wichtigtuerei verzichten
müßtet. Wißt ihr, wie mir klar wurde, daß auch ich so selbstgefällig war? Indem
ich den armen Efendi mitten in der Nacht hierher in den Konvent brachte! Ich
hatte ihn unter dem Vorwand hierhergeführt, daß wir fast erfroren waren bei unserer
endlosen Wanderung durch die Straßen. Im Grunde genommen hatte ich Spaß daran,
ihm zu zeigen, daß ich ein Überbleibsel der Kalenderi-Derwische war und, noch
schlimmer, danach trachtete, einer zu sein. Als ob der arme Fein Efendi sich
noch mehr vor mir fürchten, mir mehr Achtung zollen und ängstlich seinen Mund
halten würde, wenn er sah, daß ich der letzte Anhänger einer aufgelösten Sekte
war, die Päderastie, den Gebrauch von Haschisch, Vagabundentum und jede Art von
Schändlichkeit geduldet hatte. Natürlich geschah genau das Gegenteil. Es
gefiel unserem spatzenhirnigen Kindheitsfreund hier keineswegs, und er kam
sofort zu dem Schluß, daß unser Tun blasphemisch sei, wie er es von deinem
Oheim gehört hatte. Und so begann unser lieber Lehrzeitgefährte, der doch
zuerst gebettelt hatte: ›Hilf mir, überzeuge mich davon, daß wir nicht in
die Hölle kommen, damit ich heute nacht ruhig schlafen kann!‹, plötzlich
drohend davon zu reden, dies werde ein böses Ende nehmen. Er sagte, man habe
sich auf dem letzten Bild sehr weit von den Befehlen des Padischahs entfernt,
was jener niemals vergeben würde, und das Gerede würde dem Prediger aus Erzurum
bestimmt zu Ohren kommen. Es war nahezu unmöglich geworden, ihn davon zu
überzeugen, daß alles im rechten Lot war. Und mir wurde klar, er würde den
ganzen Unsinn des Oheims, die Ängste wegen der Glaubenslästerung und der
liebenswürdigen Darstellung des Satans noch übertreiben und seinen
schwachköpfigen, dem Prediger aus Erzurum nachlaufenden Freunden weitergeben,
und die würden all den Verleumdungen Glauben schenken. Ihr wißt doch, wie sehr
uns nicht nur die Kunsthandwerker, sondern die ganze Gemeinde der
Handwerksleute beneidet, weil wir die Gunst unseres Sultans genießen. Sie
könnten jetzt alle zusammen jubeln: DIE ILLUSTRATOREN BEGEHEN HÄRESIE. Durch
die gemeinsame Arbeit des Oheims und des Fein Efendi würde diese Verleumdung
außerdem noch wahr werden. Verleumdung sage ich, weil ich nie an das glaubte,
was unser Bruder Fein über das Buch und das letzte Bild erzählte. Damals schon
ließ ich nicht das geringste auf deinen seligen Oheim kommen. Ich fand es sogar
angemessen, daß unser Sultan mehr ihm als Altmeister Osman seine Huld schenkte,
und was er mir sehr ausführlich von den fränkischen Meistern und deren Malerei
schilderte, überzeugte mich, wenn auch nicht im gleichen Maße wie ihn. So
glaubte ich auch fest daran, daß wir osmanischen Illustratoren, ohne mit dem
Satan zu paktieren, dieses und jenes von den fränkischen Methoden ganz nach
Belieben oder so, wie man es auf Reisen erblickt, übernehmen konnten und uns
daraus kein Nachteil erwachsen würde. Das Leben war leicht, und dein seliger
Oheim war für mich nach Meister Osman ein neuer Vater in diesem neuen Leben.«
    »Dahin kommen wir noch«, sagte Kara.
»Zuerst erzähle einmal, wie du den Fein ermordet hast.«
    »Diese Tat«, begann ich und merkte,
daß ich das Wort ›Mord‹ nicht aussprechen konnte, »habe ich nicht zu
unserer Rettung begangen, sondern zum Wohle der ganzen Buchmalerwerkstatt. Fein
Efendi hatte begriffen, daß er eine bedrohliche Waffe besaß. Ich habe Allah den
Allmächtigen angefleht, mir zu zeigen, wie niedrig und gemein dieser Lump
wirklich war. Allah hat mein Flehen erhört und mir die Schurkerei des Schurken
gezeigt. Ich bot ihm Geld an. Mir war dieses Gold in den Sinn gekommen, doch
mit Allahs Hilfe erfand ich eine Lüge. Die Goldstücke seien nicht hier, sagte
ich, sondern an einem Ort, wo ich sie versteckt hielt. Wir gingen hinaus. Ohne
jeden Plan ging ich mit ihm ziellos durch leere Straßen und abgelegene Viertel.
Ich wußte nicht, was ich tun sollte, und hatte furchtbare Angst. Als wir gegen
Ende dieser sinn- und ziellosen Herumlauferei zum zweitenmal durch dieselbe
Straße kamen, wurde unser Bruder Fein Efendi, der Ver golder, der sein ganzes
Leben der Form und der Wiederholung gewidmet hatte,

Weitere Kostenlose Bücher