Pamuk, Orhan
in
einem schlimmen Zustand. Zuerst tat er mir leid. Aber laßt mich jetzt frei,
dann erzähle ich es, Mir wird schwarz vor Augen.«
»Das geschieht nicht sofort«,
erklärte Kara ungerührt. »Altmeister Osman hat das Pferd mit den geschlitzten
Nüstern trotz seiner zerstochenen Augen erkannt, glaub mir.«
»Der arme Fein Efendi wollte mit mir
sprechen, er sagte, er vertraue nur mir.«
Doch ich empfand jetzt kein Mitleid
für ihn, sondern mit mir selbst.
»Wenn du uns alles erzählst, bevor
das Blut in deinen Augen gerinnt, kannst du morgen die Welt noch einmal
sattsam betrachten«, sagte Kara. »Schau, der Regen hört auf.«
»›Gehen wir zurück zum
Kaffeehaus‹, sagte ich zu ihm, begriff aber sogleich, daß es ihm nicht
gefiel, ja, daß er sich davor fürchtete. So bemerkte ich zum erstenmal, daß
sich Fein Efendi nach unserer Lehrzeit und den fünfundzwanzig Jahren
gemeinsamer Arbeit gänzlich von uns abgesondert hatte und seine eigenen Wege
ging. Seit er verheiratet ist, habe ich ihn während der letzten acht, neun
Jahre in der Buchmalerwerkstatt gesehen, aber nicht gewußt, was er eigentlich
macht ... Er sagte mir, er habe das letzte Bild gesehen. Es gebe darin eine
große Sünde. Etwas, mit dem keiner von uns fertig werden könne. Aus diesem
Grund würden wir alle in der Hölle brennen. Er war sehr erregt, angsterfüllt
und von dem niederschmetternden Gefühl besessen, ohne Wissen eine große Sünde
begangen zu haben.«
»Was sollte diese große Sünde sein?«
»Als ich ihn danach fragte, öffnete
er höchst erstaunt seine Augen, als wolle er sagen, das wisse ich doch wohl.
Da kam mir der Gedanke, daß unser Freund aus der Lehrzeit alt geworden ist,
wie wir alle. Er sagte, der unselige Oheim habe in dem letzten Bild bedenkenlos
die Perspektive benutzt. Auf diesem Bild seien die Dinge nicht nach ihrer
Bedeutung in Allahs Verstand dargestellt, sondern wie sie unser Auge erfaßt,
also so, wie es die Franken machen. Das sei eine große Sünde. Es sei ein
weiteres Vergehen, unseren Padischah, den Kalifen des Islam, in der gleichen
Größe wie einen Hund abzubilden. Die dritte Sünde aber sei, das Bild des
Satans in gleicher Größe zu malen und obendrein auf so liebenswerte Art. Doch
die schlimmste Lästerung sei natürlich, nachdem man einmal die fränkische
Auffassung eingeführt hatte, das Bildnis unseres Padischahs riesengroß und mit
allen Einzelheiten seiner Gesichtszüge wiederzugeben. Gleich den
Götzenanbetern ... Oder wie die ›Porträts‹, welche die Christen, die sich
nicht von den Gewohnheiten der Götzenanbetung lösen konnten, an die Wände
ihrer Kirchen malen und anbeten. Fein Efendi kannte dieses Wort, das er vom
Oheim gelernt hatte, sehr gut und glaubte zu Recht, daß ein Porträt eine große
Sünde war und das Ende der islamischen Malerei sein würde. Da wir nicht in das
Kaffeehaus gegangen waren, wo man unseren hochgeehrten Prediger und unseren
Glauben verleumdete, wie er sagte, erzählte er mir diese Dinge, während wir durch
die Straßen gingen. Manchmal hielt er an und fragte mich geradezu hilfeflehend,
ob dies alles richtig sei, ob es keinen Ausweg gebe, ob wir in der Hölle
brennen würden. Von Reue überfallen, schlug er sich an die Brust, doch ich
merkte auf einmal, daß ich ihm nicht glaubte. Er war ein Betrüger, der Reue
vortäuschte.«
»Wie ist dir das klargeworden?«
»Wir kennen Fein Efendi seit der
Kindheit. Er ist sehr ordentlich, doch still, farblos und unauffällig. Wie
seine Vergoldungen. Jetzt schien es, als hätte ich jemanden vor mir, der
dümmer, einfacher und gläubiger, aber oberflächlicher war als der Fein Efendi,
den wir kannten.«
»Er soll auch viel mit den
Erzurumern zusammensein«, meinte Kara.
»Kein Moslem würde so heftige Reue
empfinden, weil er unbewußt gesündigt hat«, sagte ich. »Ein guter Moslem weiß,
daß Allah gerecht und verständig ist und den Absichten seines Knechtes Rechnung
trägt. Daß einer zur Hölle fährt, weil er Schweinefleisch aß, ohne es zu
wissen, glauben nur die spatzenhirnigen Einfaltspinsel. Ohnehin weiß der wahre
Moslem, daß die Furcht vor der Hölle dazu dient, anderen Furcht einzujagen,
nicht ihm selbst. Und das tat Fein Efendi, er versuchte, mich in Furcht zu
versetzen. Dein Oheim hatte ihm beigebracht, daß er so etwas tun könne, was
auch mir zu jenem Zeitpunkt klar wurde. Nun sagt mir ehrlich, meine lieben
Buchmalerbrüder, gerinnt das Blut in meinen Augen, verlieren die Augäpfel ihre
Farbe?«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher