Pamuk, Orhan
arbeiteten. Als mir der
Gedanke kam, daß dieser Befehl das Buch des Oheims betreffen könnte, war ich
still. Wieweit wollte Meister Osman mit seiner Rede etwas andeuten?
»Nuri Efendi«, rief er einem
blassen, buckligen Buchmaler zu, »führe unseren Herrn Kara in den ›Stand der
Dinge‹ ein!«
Der »Stand der Dinge« war eine
Zeremonie, die in jenen aufregenden Zeiten, als unser Padischah das Tun und
Lassen in der Buchmalerwerkstatt von nahem verfolgte, zu seinem ebenda alle
zwei Monate stattfindenden Besuch gehörte. Begleitet von Hazim, dem Obersten
Schatzmeister, Lokman, dem Dichter und Hofchronisten, und Meister Osman, dem
Ersten Illustrator, wurde dem Sultan berichtet, mit welcher Tätigkeit jeder
einzelne der Koloristen, Rahmenzieher, Vergolder und Meisterillustratoren,
jeder Tausendkünstler und Alleskönner beschäftigt war, welcher Meister an
welcher Seite welches Buches arbeitete, wer welche Vergoldung vorgenommen, wer
bei welchem Bild die Farben aufgemalt hatte.
Weil aber der Hofchronist Lokman
Efendi, der die meisten der zu schmückenden Bücher geschrieben hatte, alt und
kränklich geworden und ans Haus gebunden war, der Erste Illustrator Osman sich
ständig in einem Dunst von Zorn und Gekränktsein bewegte, die vier
Schmetterling, Olive, Storch und Fein benannten Meister bei sich daheim
arbeiteten und unser Padischah keine kindliche Freude mehr an der
Buchmalerwerkstatt aufbrachte, fand diese Zeremonie nicht mehr statt, und es
machte mich traurig, daß man sie jetzt nachstellen wollte. Wie viele
seinesgleichen war der Illustrator Nuri Efendi für nichts und wieder nichts alt
geworden, ohne recht gelebt und ohne in seinem Handwerk die Meisterschaft
erreicht zu haben, doch seinen Buckel hatte er sich, jahrelang über sein Arbeitspult
gebeugt, nicht umsonst erworben: Stets hatte er darauf achtgegeben, was in der
Buchmalerwerkstatt vor sich ging und welches schöne Blatt von wem angefertigt
wurde.
Auf diese Weise bekam ich voller
Freude zum erstenmal die legendenumwobenen Seiten aus dem Buch der Feste zu
sehen, das die Feierlichkeiten zur Beschneidung der Söhne unseres Padischahs
schildert. Die Geschichten über dieses zweiundfünfzig Tage währende
Beschneidungsfest, an dem die Istanbuler aller Berufe, aller Zünfte teilnahmen,
hatte ich schon im fernen Persien gehört, als das Buch noch im Werden war.
Auf dem ersten mir vorgelegten Bild
saß unser Padischah, Schirmherr der Welt, in dem Erker des Palastes, der einst
dem verstorbenen Ibrahim Pascha gehört hatte, und schaute mit wohlwollendem
Blick hinunter auf das festliche Treiben im Hippodrom. Wenn auch sein Gesicht
keine Züge trug, die es von den anderen unterschieden, so war es doch mit Sorgfalt
gezeichnet worden. Auf der linken Hälfte des zweiteiligen Bildes befand sich
unser Padischah, auf der rechten Seite aber waren unter den Fensterbögen
Wesire, Paschas und die Gesandten aus Persien, Tataristan, Venedig und den
fränkischen Landen zu sehen. Man hatte sie eilig und schlampig hingemalt, da es
sich ja nicht um den Sultan handelte, und aller auf das Geschehen unten
gerichteten Augen verfehlten das Ziel. Auf weiteren Bildern waren die Wände mit
einer anderen Oberfläche, die Bäume und Ziegel auf andere Art und mit anderen
Farben gemalt, doch fiel mir auf,
daß sich die Komposition wiederholte. Hatten die Kalligraphen ihre Arbeit erst
einmal beendet, waren die Bilder fertiggemalt und das Buch der Feste eingebunden,
dann würde der Leser beim Umblättern der Seiten unter den stets gleichen
Blicken und bei stets gleichbleibender Haltung des Sultans und seiner geladenen
Gäste jedesmal ein ganz anderes Geschehen in ganz anderen Farben sehen.
Auch ich habe sie gesehen, die
Leute, die sich auf den Pilaw stürzten, der in Hunderten von Schüsseln im
Hippodrom aufgestellt war, und, während sie den gebratenen Ochsen plünderten,
vor den lebenden Hasen und Vögeln erschraken, die dabei aus dessen Innern
hervorschossen. Ich sah die Zunft der Kupferschmiedemeister auf einem Karren
vor dem Sultan vorbeiziehen, wobei einer der Ihren auf dem Boden des Wagens lag
und einen kantigen Amboß auf der Brust trug, auf dem die anderen Kupferblech
schlugen, ohne den entblößten Mann mit ihren Hämmern zu treffen. Ich sah die
Glasmacher, die während der Parade vor dem Padischah ihre Gläser mit Nelken und
Zypressen schmückten, sah die im Vorbeimarsch süße Gedichte aufsagenden
Zuckerbäcker mit Säcken voll Zuckerwerk auf den Rücken ihrer Kamele, mit
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