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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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plünderten und niederbrannten, wo man täglich von Krieg und Frieden
sprach und wo seit Jahrhunderten am besten gedichtet, gemalt und bebildert
wurde.
    »Wie euch bekannt ist, hat Schah
Tahmasp in der letzten Zeit seiner zweiundfünfzig Jahre währenden Regierung die
Liebe zum Buch, zur Illustration und Malerei vergessen, hat den Poeten,
Buchmalern und Kalligraphen den Rücken gekehrt und ist, der frommen Andacht
ergeben, aus dem Leben geschieden. Die Nachfolge trat sein Sohn Ismail an. Der
Vater hatte ihn wegen seines launischen, streitsüchtigen Wesens zwanzig Jahre
lang gefangengehalten, jetzt aber, da er die Macht besaß, wütete er gegen
seine Brüder, ließ sie erwürgen und einige blenden, um sie loszuwerden. Doch
seine Feinde befreiten sich am Ende von seinem Joch, vergifteten ihn mit Opium
und setzten seinen halbverrückten älteren Bruder Mohammet Hüdabende auf den
Thron. Unter dessen Herrschaft erhoben sich alle, Prinzen, Brüder, Walis und
die Usbeken, sie bekämpften sich untereinander und unseren Serhat Pascha so heftig,
daß alles restlos drunter und drüber ging im Land der Perser. Der jetzige
Schah, ohne Geld und Gut, ohne Verstand und noch dazu halb blind, ist nicht in
der Lage, Bücher schreiben oder illustrieren zu lassen. So verloren all die
legendenumwobenen Buchmaler von Kazvin und Herat, all die bejahrten Meister und
ihre Schüler, die in der Werkstatt des Schah Tahmasp Wunder geschaffen hatten,
die Farbenspieler, die Maler, deren Pinsel Pferde galoppieren und Schmetterlinge
über die Buchseiten hinausflattern ließen, und all die Buchbindermeister und
Kalligraphen ihre Arbeit und ihren Unterhalt, ja sogar ihre Bleibe und ihre
Heimat. Manche gingen nach Norden zu den Schaibaniden, manche nach Indien, oder
sie kamen hierher nach Istanbul. Manch einer übernahm eine andere Tätigkeit,
wo er sich selbst und seinen Ruf ruinierte. Es gab auch einige, die sich den
kleinen, miteinander in Fehde liegenden Prinzen oder Walis anschlossen und an
schmalen Bändchen zu arbeiten begannen, die höchstens ein paar bemalte Blätter
enthielten. Es wimmelte überall von billigen Büchern, die für den Geschmack
gemeiner Soldaten, unwissender Paschas und verwöhnter Prinzen hastig und bar
jeder Sorgfalt geschrieben und illustriert worden sind.«
    »Wieviel gibt man dafür?« fragte
Meister Osman.
    »Man sagt, daß sogar der große
Sadiki Bey ein acaip-ül mahlukat – »Die Wunder der Schöpfung« – für
einen usbekischen Lehnsreiter um nur vierzig Goldstücke bebildert hat. In dem
Zelt eines ungebildeten Paschas, der von dem Feldzug im Osten nach Erzurum
zurückgekehrt war, habe ich ein murakka, ein Sammelalbum verschiedenster
Herkunft, gesehen, in welchem sich viele unzüchtige Darstellungen, aber auch
Bilder von der Hand des großen Meisters Siyavuş befanden. Jene großen Meister, die vom Malen
nicht lassen konnten, fertigen und verkaufen einzelne Bilder, die kein Teil
eines Buches, einer Geschichte sind. Schaut man sich ein solches Bild an, dann
fragt man nicht nach der Geschichte oder der Szene, die es zeigt, sondern
genießt es nur um des schönen Anblicks willen. Man sagt zum Beispiel: ›Dies
ist wahrhaftig ein Pferd, wie schön!‹ und gibt dem Maler allein aus diesem
Grund das Geld dafür. Sehr gefragt sind auch Schlachtenbilder und solche, die
das Vögeln zeigen. Eine figurenreiche Schlachtenszene ist schon für dreihundert
Asper zu haben und wird dennoch kaum bestellt. Manche fertigen, um billig zu
sein und Käufer zu finden, schwarzweiße Bilder ohne jede Farbe auf
ungestärktem, glanzlosem Papier an.«
    »Ich hatte einen sehr frohgesinnten,
sehr geschickten Vergolder«, sagte Meister Osman. »Er führte so feine Arbeiten
aus, daß wir ihn Herrn Fein nannten. Aber auch er hat uns verlassen. Sechs Tage
sind vergangen, und er läßt sich nicht blicken, ist auf geheimnisvolle Art
verschwunden.«
    »Wie kann einer diese Werkstatt,
dieses glückliche Heim aufgeben?« wollte ich wissen.
    »Meine vier jungen Meister,
Schmetterling, Olive, Storch und Fein, die ich von der Lehrzeit an geschult
habe, arbeiten nunmehr auf Anordnung unseres Padischahs bei sich zu Hause«,
erklärte Meister Osman.
    Offenbar geschah dies, damit sie auf
leichtere Art an jenem Buch der Feste arbeiten konnten, mit dem die
ganze Werkstatt beschäftigt war. Der Sultan hatte diesmal den Buchmalermeistern
kein besonderes Eckchen im Hof des Sarays für ein besonderes Buch zuweisen
lassen, sondern befohlen, daß sie bei sich zu Hause

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