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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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meinem Kopf
durcheinandergeriet.
    Ich war noch immer von Illustratoren
und Kalligraphen umgeben, als die Versammelten nach dem Gebet den Sarg auf
ihre Schultern hoben. Storch hatte mich in manchen Nächten, wenn wir meines
Buches wegen beim blassen Lampenlicht bis zum Morgen zusammensaßen, davon zu
überzeugen versucht, wie billig die Verzierungen des Fein Efendi waren, wie
geschmacklos er seine Farben wählte (überall benutzt er Lapislazuli, damit's
reicher aussieht!). Daß ich ihm eigentlich beigestimmt und gesagt hatte: »Doch
es gibt niemand anders!«, war jetzt vergessen, wir umarmten uns noch einmal
wehklagend. Der freundschaftliche und respektvolle Blick, mit dem Olive mich
bedachte, und dann seine Umarmung – wer zu umarmen weiß, ist ein guter Mensch! – gefielen mir so gut, daß ich einmal mehr meinte, er müsse unter allen Illustratoren
und Kalligraphen derjenige sein, der am meisten an mein Buch glaubte.
    Auf der Treppe des Hoftores geriet
ich neben den Ersten Illustrator, Altmeister Osman, und wir wußten beide
nicht, was wir sagen sollten. Es war ein sonderbarer und heikler Anblick. Ein
Bruder des Verblichenen war in Schluchzen ausgebrochen, und ein Wichtigtuer
hatte »Allahu ekber!« gerufen.
    »Zu welchem Friedhof?« fragte er
mich, doch nur beiläufig.
    »Ich weiß nicht« zu sagen schien mir
ein wenig feindselig zu sein, so daß ich unruhig wurde und ohne weiteres
Nachdenken den Nächstbesten auf der Treppe fragte: »Zu welchem Friedhof? Beim
Edirne-Tor?«
    »In Eyüp«, sagte der, ein zorniger
junger Trottel mit Bart.
    »In Eyüp«, wiederholte ich, zu dem
Meister gewandt, doch der hatte ohnehin die Antwort des zornerfüllten, jungen
und bärtigen Trottels gehört. Auf diese Weise konnte er in seinen
»Ich-habe-verstanden«-Blick etwas hineinlegen, was mir unverzüglich begreiflich
machte, daß er unsere Begegnung nicht weiter auszudehnen wünschte.
    Sicherlich kränkte es Altmeister
Osman, daß unser Padischah das Kalligraphieren, Ornamentieren und Illustrieren
des Buches, das ich »geheim« nannte, mir anvertraut hatte. Dazu kam noch die
Neugier auf die fränkischen Malweisen, die durch meinen Einfluß in unserem
Herrscher erweckt worden war. Der hatte einmal Altmeister Osman gezwungen, sein
von einem Italiener gemaltes Porträt nachzuahmen. Ich wußte, daß Meister Osman
mich für diese seltsame, nur mit Abscheu ausgeführte Arbeit, für das von ihm
»Folter« genannte Nachahmen des italienischen Malers verantwortlich machte.
Recht hatte er!
    Ich blieb mitten auf der Treppe
stehen und schaute ein Weilchen zum Himmel hinauf. Nachdem ich sicher war, daß
der Abstand ausreichen würde, begann ich wieder, die vereisten Treppen hinabzusteigen.
Schwerfällig hatte ich kaum zwei Stufen bewältigt, als sich jemand bei mir
einhängte und mich umarmte – Kara.
    »Es ist bitter kalt«, sagte er.
»Friert's Euch?«
    Ich hegte keinen Zweifel, daß er es
war, der Şeküre um den Verstand brachte. Das bewies sogar seine
selbstsichere Art, mit der er sich bei mir einhängte. Etwas in seinem Verhalten
sagte: Ich habe zwölf Jahre gearbeitet und bin ein rechter Mensch geworden. Wir
waren am Ende der Stufen. Was er in der Buchmalerwerkstatt erfahren hatte,
sollte er mir später berichten.
    »Geh du voran, mein Sohn«, sagte
ich. »Schließ dich der Trauergemeinde an.«
    Er war erstaunt, zeigte es aber
nicht. Es gefiel mir, wie er ruhig und besonnen meinen Arm losließ und
fortging. Würde er mit uns in einem Haus wohnen, wenn ich ihm Şeküre gab?
    Wir waren durch das Edirne-Tor zur
Stadt hinausgekommen, als ich weit unten fast schon im Dunst verloren den Sarg
mit der Menge der Illustratoren, Kalligraphen und Lehrbuben entdeckte, die ihn auf
ihren Schultern trugen und sich rasch hügelabwärts auf das Goldene Horn
zubewegten. Sie waren so schnell gegangen, daß sie jetzt schon die Hälfte der
schlammigen Straße bewältigt hatten, die durch das schneebedeckte Tal nach Eyüp
hinunterführte. Der Schornstein der Wachsfabrik, die zur Stiftung der Hamm
Sultan gehörte, schmauchte in der Stille und dem Dunst fröhlich vor sich hin.
Unterhalb der Stadtmauer lagen das Schlachthaus, in dem man emsig für die
griechischen Fleischer tätig war, und die Stätten der Gerber. Der von dorther
kommende Aasgeruch hatte sich über das ganze Tal verbreitet, das sich bis zu
den nur schemenhaft wahrnehmbaren Kuppeln der Moschee von Eyüp und den
Zypressen des Friedhofes hinzog. Nachdem ich ein wenig weiter gegangen war, kam
von

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