Pamuk, Orhan
unten aus dem neuen Judenviertel in Balat das Geschrei spielender Kinder zu
mir herauf.
Als wir die Talsohle von Eyüp
erreichten, gesellte sich Schmetterling zu mir. In seiner hitzigen Art und
Weise kam er holterdiepolter zur Sache:
»Olive und Storch haben das getan«,
sagte er. »Wie alle anderen wußten auch sie sehr wohl, daß es zwischen mir und
dem Verstorbenen nicht allzugut stand; und sie wußten auch, daß alle anderen
es wußten. Es gibt Eifersüchteleien, ja, ausgesprochene Abneigung und
Feindschaft wegen der Frage, wer von uns nach Altmeister Osman der
Buchmalerwerkstatt vorstehen wird. Jetzt vermuten sie, daß die Schuld an mir
hängenbleiben oder zumindest der Schatzmeister und durch dessen Überredung
unser Padischah sich von mir, nein, von uns abwenden wird.«
»Wer seid ihr, die du ›wir‹
nennst?«
»Wir sind's, die sagen, die alten
Sitten sollen bleiben in der Buchmalerwerkstatt, der Weg der persischen Meister
solle weiter begangen werden und man solle nicht für Geld ein jedes Thema illustrieren.
Wir sagen, anstelle der Waffen, Heere, Gefangenen und Eroberungen müssen die
alten Legenden, Sagen und Erzählungen in unsere Bücher eingehen, man darf den
alten Formen nicht entsagen, und die wahren Illustratoren dürfen nicht auf den
Marktständen für jeden Dahergelaufenen, der ein paar Kurusch gibt, jede Art
von Bild und schlechte Dinge malen. Unser hochverehrter Padischah wird uns
recht geben.«
»Du beschuldigst dich selbst für
nichts«, sagte ich, damit er das Thema beendete. »Ich bin mir sicher, daß die
Buchmalerwerkstatt niemanden beherbergen könnte, der zu einer solchen Tat fähig
wäre. Wir sind alle Brüder. Und wenn es einige früher nicht abgebildete Themen
gibt, die man jetzt malt, so bringt das doch keinen Schaden, der eine Feindschaft
hervorrufen muß!«
Zugleich wurde mir, wie in jenem
Augenblick, als ich die Nachricht zum erstenmal hörte, zur Gewißheit, daß der
Mörder des Fein Efendi zu den in der Buchmalerwerkstatt des Sarays zu Ehren aufgestiegenen
Meistern gehörte und sich gerade jetzt vor mir in der Menge befand, die den
Hügel zum Friedhof hinaufstieg. Und ebenso sicher wußte ich, daß der Mörder
seine Teufelei und Bosheit weiter betreiben würde, daß er ein Feind des Buches
war, an dem ich arbeitete, doch sehr wahrscheinlich in mein Haus kam und von
mir die Aufgaben zum Ornamentieren und Malen der Bilder für ebendieses Buch
annahm. War auch Schmetterling, wie viele der Illustratoren, die in meinem
Haus ein und aus gingen, in meine Tochter verliebt? Hatte er vergessen, daß die
Bilder, die ich manchmal von ihm verlangte, jenen soeben von ihm vorgebrachten
Ansichten ganz und gar entgegenstanden, oder machte er nur meisterhafte
Anspielungen?
Nein, dachte ich ein wenig später,
es können keine Anspielungen sein. Wie all die anderen Meisterillustratoren, so
bezeigte mir auch Schmetterling ganz deutlich seine Dankbarkeit. Als angesichts
der Kriege und der erloschenen Anteilnahme unseres Padischahs den Illustratoren
aus der Schatzkammer keine Gelder, keine Geschenke mehr zuflossen, verdienten
sie eine Zeitlang nur durch mein Buch ein ordentliches Zubrot. Ich wußte, daß
sie meinetwegen aufeinander eifersüchtig waren, ja, aus diesem Grund – aber
nicht nur deswegen – rief ich sie einzeln ins Haus und sprach mit jedem
allein, was doch niemals heißen konnte, daß sie mir feind waren. Alle meine
Buchmaler, die notgedrungen lieben mußten, wer ihnen Vorteile bot, waren so
reif und würden klug genug sein, mehr menschliche Gründe zu finden, um
denjenigen aufrichtig zu lieben, der ihnen Vorteile bot.
Damit das Schweigen gebrochen wurde
und wir nicht auf die gleiche Sache zurückkamen, bemerkte ich: »Allah bewahre,
sie können den Sarg schneller hügelan als hügelabwärts tragen!«
Schmetterling lächelte liebenswürdig
und zeigte dabei alle Zähne: »Der Kälte wegen!«
Wäre es ihm möglich, einen Menschen
umzubringen? fragte ich mich. Aus Eifersucht zum Beispiel. Und hinterher mich?
Er könnte einen Vorwand finden: Dieser Mann beschimpft unseren Glauben! Aber er
ist doch ein großer Meister, ein kunstfertiger Alleskönner, warum sollte er
morden? Altern muß wohl nicht nur bedeuten, daß man mit größerer Anstrengung
einen Hügel hinaufsteigt, sondern auch, daß man sich weniger vor dem Tod
fürchtet; eine Art Lustlosigkeit, als ob man nicht freudig erregt in das Bett
der Sklavin schlüpfte, sondern nur einer Gewohnheit zuliebe. Aus einer
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