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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Granatapfelbaum
Schwertgefechte aus, ich höre ihr Geschrei. Mein Vater sitzt still im Zimmer
nebenan. Hasans Brief habe ich geöffnet, gelesen und einmal mehr festgestellt,
daß er nichts von Bedeutung enthält. Nur meine Furcht vor ihm ist etwas
gewachsen, und ich habe mich selbst dazu beglückwünscht, daß ich seinen Versuchen,
mich in sein Bett zu holen, so gut widerstehen konnte, als wir noch zusammen in
einem Haus wohnten. Danach habe ich Karas Brief wie eine zerbrechliche
Kostbarkeit vorsichtig in der Hand gehalten und gelesen und war reichlich
verwirrt. Ich las die Briefe aber kein zweites Mal. Die Sonne kam heraus, und
ich dachte, wenn ich in einer der Nächte zu Hasan ins Bett geschlüpft wäre, um
mit ihm zu schlafen, hätte es niemand gemerkt außer Allah. Ist doch ganz
gleich, schließlich ähnelt er meinem Ehemann. Hin und wieder schießen mir
solche absonderlich dummen Gedanken durch den Kopf. Die Sonne schien, und mit
der plötzlichen Wärme spürte ich, daß ich einen Körper hatte, fühlte meine
Haut, meinen Hals, ja, meine Brustwarzen. Während die Sonne durch die Tür
schien und mich traf, stand unverhofft Orhan vor mir.
    »Was liest du, Mutter?« fragte er.
    Nun gut, ich habe gelogen, als ich
vorhin sagte, ich hätte die beiden letzten mir von Ester überbrachten Briefe
kein zweites Mal gelesen. Ich wollte sie wieder lesen. Doch diesmal faltete
ich sie tatsächlich zusammen, steckte sie ein und sagte zu Orhan: »Komm zu mir
auf den Schoß.« Er tat es. »Meine Güte, bist du schwer und groß geworden!« Ich
küßte ihn und sagte: »Du bist eiskalt.«
    »Mutter, wie warm du bist!« sagte
er daraufhin und lehnte sich mit dem Rücken an meine Brust.
    Wir mochten es beide, eng
aneinandergelehnt dazusitzen und nicht zu sprechen. Ich roch an seinem Nacken,
gab ihm einen Kuß und hielt meinen Jungen noch fester. Es wurde ganz still, und
wir rührten uns nicht.
    Lange danach sagte er: »Es kitzelt.«
    Ganz ernsthaft fragte ich ihn: »Sag
einmal, was würdest du dir im Leben am meisten wünschen, wenn der Padischah der
Geister daherkäme und sagte, wünsch dir von mir, was du willst?«
    »Ich würde mir wünschen, daß Şevket nicht bei uns wäre.«
    »Und was noch? Möchtest du nicht
einen Vater haben?«
    »Nein. Ich werde dich heiraten, wenn
ich erwachsen bin!«
    Das Schlimmste ist nicht, alt und
häßlich zu werden, auch nicht, unbemannt und arm zu bleiben, sondern daß
niemand im Leben auf einen eifersüchtig ist. Ich nahm Orhan, dessen Körper
wärmer wurde, von meinem Schoß. Jemand mit einer so bösen Seele wie ich sollte
einen guten Menschen heiraten, dachte ich und ging zu meinem Vater.
    »Unser hochverehrter Padischah wird
Euch belohnen, wenn das Buch fertig ist und er es mit eigenen Augen sieht«,
sagte ich. »Ihr werdet wieder nach Venedig fahren.«
    »Ich weiß nicht«, sagte mein Vater
zweifelnd. »Dieser Mord hat mich erschreckt. Unsere Feinde müssen stark sein.«
    »Ich aber weiß, daß meine Lage sie
auch ermutigt hat, sie zu falschen Schlüssen, zu unbegründeten Hoffnungen
führt.«
    »Wie denn?«
    »Ich muß jetzt so bald wie möglich
heiraten.«
    »Was?« fragte mein Vater. »Wen? Du
bist doch verheiratet! Wie kommst du darauf? Wer wirbt um dich? Selbst wenn es
ein sehr vernünftiger, nicht abzuweisender Bewerber sein sollte«, sagte mein
vernünftiger Vater, »glaube ich nicht, daß er leicht zu finden ist und uns so
einfach gefallen würde.« Dann faßte er meine unglückliche Lage zusammen: »Du
weißt doch, daß schwere Hindernisse beseitigt werden müssen, bevor du heiraten
kannst.« Und nach langem Schweigen fügte er hinzu: »Willst du mich verlassen
und fortgehen, meine Liebe?«
    »Ich habe heute nacht im Traum
gesehen, daß mein Ehemann gestorben ist«, erklärte ich, weinte aber nicht wie
eine Frau, die einen solchen Traum wahrhaftig gesehen hat.
    »Wie jene, die ein Bild zu deuten
wissen, wenn sie es betrachten, so muß man auch den Traum zu deuten wissen.«
    »Würdet Ihr es für gut befinden,
wenn ich Euch den Traum erzähle?«
    Es wurde still für einen Augenblick,
und wie es kluge Menschen tun, gingen wir rasch in Gedanken alle Schlüsse
durch, die der andere aus dem, was gesagt würde, ziehen könnte, und lächelten
uns an.
    »Ich kann deinen Traum so auslegen
und glauben, daß dein Ehemann gestorben ist, doch dein Schwiegervater, dein
Schwager und der Kadi, der sie anhören muß, werden andere Beweise verlangen.«
    »Es ist nun zwei Jahre her, daß ich
mit den

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