Pamuk, Orhan
zum Ende der
Beisetzung hinter einer Platane, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen.
Ein noch dümmerer Verwandter des Dummen, den ich zur Hölle geschickt hatte,
fand mich hinter der Platane und schaute mir, wie er glaubte, mit sehr
sprechenden Blicken gerade in die Augen. Er umarmte mich lange. Dann fragte der
Einfaltspinsel: »Warst du Samstag oder Mittwoch?«
»Mittwoch war früher einmal der Name
des Verblichenen«, sagte ich, und er war verwirrt.
Die Geschichte dieser Spitznamen,
die uns immer noch auf geheimnisvolle Weise verbindet, ist einfach. In unseren
Lehrjahren hegten wir alle große Achtung, Bewunderung und Liebe für den Illustrator
Osman, der soeben aus dem Stand des Gesellen in den des Meisters aufgestiegen
war. Er, der große Illustrator, lehrte uns alles, denn Allah hatte ihm sowohl
ein zauberisches Talent wie auch einen scharfen Verstand gegeben. Wie es sich
für die Lehrlinge gehörte, mußte jeden Morgen einer von uns zum Haus des
Meisters gehen, den Rohrstiftkasten, seine Tasche und das Bündel mit den Papierbogen
tragen und ihn zu Fuß bis zur Werkstatt begleiten. Wir bemühten uns so sehr,
ihm nahe zu sein, daß es Streit gab unter uns: Heute gehe ich :nein, ich!
Meister Osman hatte einen Günstling,
doch wäre der jeden Morgen gekommen, hätte das die unanständigen Scherze und
das ständige Gerede unter der Buchmalertruppe erst recht entflammt, so daß der
große Meister beschloß, jeden von uns einen Tag in der Woche kommen zu lassen.
Freitags arbeitete er, samstags ging er nicht in die Werkstatt. Sein geliebter
Sohn, gleich uns ein Lehrling, der ihn und uns in späteren Jahren verraten und
die Kunst aufgeben sollte, begleitete montags den Vater, wie jeder andere von
uns. Einer war Bruder Donnerstag gewesen, groß, schlank und begabter als wir alle,
doch das Fieber einer unbekannten Krankheit raffte ihn in jungen Jahren dahin.
Der selige Fein Efendi kam mittwochs, so daß er Mittwoch genannt wurde, doch
als der Meister später unsere Namen so liebevoll wie sinngemäß von Dienstag in
Olive, von Freitag in Storch und von Sonntag in Schmetterling änderte, gab er
jenem in Anspielung auf seine zarten Illuminierungen den Namen Fein. Zuvor
aber hatte der große Meister, wie er uns alle morgens begrüßte, wohl zu ihm
gesagt: »Willkommen, Mittwoch, wie geht's dir?«
Als ich mich daran erinnerte, wie er
zu mir gesprochen hatte, meinte ich, mir kämen die Tränen: Trotz aller Prügel,
die wir als Lehrlinge bekamen, liebte uns Meister Osman, wurden ihm die Augen
feucht von der Schönheit unserer Malerei, so daß er Küsse verteilte auf unsere
Hände und Arme, und wenn er uns küßte, fühlten wir uns wie im Paradies, weil
unser Können durch die herzliche Zuneigung erblühte. Sogar die Farbe der
Eifersucht, die einen Schatten warf auf jene glücklichen Jahre, war eine andere
damals.
Ihr seht, ich fühle mich in zwei
Teile gespalten, so wie die Menschen, deren Kopf und Hände von einem
Altmeister und deren Körper und Kleider von einem anderen Meister gezeichnet
und bemalt werden. Wenn einer, der gleich mir Allah fürchtet, unversehens zum
Mörder wird, dann gewöhnt er sich nicht sofort daran. Um mich so zu verhalten,
als verliefe mein Leben in den alten Bahnen, habe ich für mein Dasein als
Mörder eine zweite Stimme erworben. Ich spreche jetzt mit dieser zweiten,
höhnischen und boshaften Stimme, die nichts mit meinem alten Leben zu tun hat.
Hin und wieder werdet ihr natürlich jene altbekannte Art und Weise hören, in
der ich gesprochen hätte, wäre ich nicht zum Mörder geworden, aber nicht mit
meinem Beinamen »Ich, der Mörder«. Niemand soll versuchen, diese beiden Stimmen
zu vereinen, denn ich habe keinen persönlichen Stil oder Fehler, der mich
verraten könnte. Ich glaube, Stil oder jede Sache, die eine Illustration von
der anderen unterscheidet, ist ein Fehler, nicht etwa Ausdruck von Persönlichkeit,
wie manche rühmend behaupten.
Aber in meiner besonderen Lage wird
das zu einem Problem führen, wie ich zugeben muß. Denn ich will auf jeden Fall
vermeiden, daß ihr mich, wenn wir als Schmetterling, Olive oder Storch
sprechen, unter diesen uns von Meister Osman liebevoll verliehenen Beinamen
erkennt, die auch der Oheim Efendi mochte und benutzt. Ihr versteht schon – weil ihr dann höchstwahrscheinlich sofort zum Obersten der Gartengarde laufen
und mich seinen Folterern ausliefern würdet.
Deswegen kann ich nicht alles
aussprechen, was ich denke. Und ich merke sehr wohl,
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