Pamuk, Orhan
Kindern heimgekehrt bin, aber der Schwiegervater und der Schwager
konnten mich seither nicht zurückholen.«
»Weil sie nur allzugut um ihren
Fehler wissen«, meinte Vater. »Dies aber ist nicht gleichzusetzen mit ihrem
Einverständnis, deine Ehe auflösen zu lassen.«
»Wären wir von der Sekte der Maliki
oder der Hanbeli, so würde der Kadi sehen, daß vier Jahre vergangen sind, meine
Witwenschaft anerkennen und mir außerdem noch eine Unterstützung zugestehen.
Weil wir jedoch, Allah sei Dank, den Hanefis angehören, ist das unmöglich.«
»Red mir nicht von dem Şafiiten,
der für den Kadi von Üsküdar amtiert. Das sind faule Geschäfte!«
»Alle Istanbuler Frauen, die ihre
Männer im Krieg verloren haben, begeben sich mit ihren Zeugen zu ihm, heißt
es, um die Ehe auflösen zu lassen. Und weil er Şafiit ist, fragt er nur:
Ist dein Mann verschollen, seit wann, hast du's schwer, dein Leben zu
bestreiten, sind das deine Zeugen – und schon löst er die Ehe auf!«
»Wer hat dir diese Dinge in den Kopf
gesetzt, mein liebes Kind?« wollte er wissen. »Wer hat dich um den Verstand
gebracht?«
»Falls es jemanden geben sollte, der
mich nach Auflösung meiner Ehe um den Verstand bringen könnte, dann liegt es
natürlich bei Euch, mir das zu sagen, und wen ich heirate, wird Eure Entscheidung
sein, der ich mich niemals widersetzten werde.«
Als mein listiger Vater sah, daß
seine Tochter gleichermaßen listig war, begann er zu zwinkern. Und aus drei
Gründen zwinkert er heftig mit den Augen: r. wenn er sich bedrängt fühlt und
hastig nachdenkt, um eine List zu finden; 2. wenn ihm Hoffnungslosigkeit und
Kummer die Tränen in die Augen treiben; 3. wenn er sich bedrängt fühlt, zur
List greift, das erste und zweite vermengt und den Eindruck erwecken möchte,
daß er gleich vor Kummer in Tränen ausbrechen könnte.
»Nimmst du deine Kinder, gehst fort
und läßt deinen greisen Vater allein zurück? Weißt du, ich habe mich
gefürchtet, unseres Buches wegen (ja, unseres Buches, sagte er) umgebracht zu
werden, doch da du mich jetzt mit den Kindern verlassen willst, möchte ich
ohnehin sterben.«
»Väterchen, habt Ihr nicht stets
davon gesprochen, daß meine Ehe aufgelöst werden müsse, um mich vor diesem
nichtsnutzigen Schwager zu retten?«
»Ich will nicht, daß du mich
verläßt. Dein Ehemann könnte eines Tages zurückkehren. Daß du verheiratet bist,
bringt keinen Schaden, auch wenn er nicht wiederkommt. Bleib du hier bei
deinem Vater wohnen, das genügt.«
»Ich will nichts anderes, als hier in
diesem Haus mit Euch gemeinsam wohnen.«
»Hast du nicht eben noch gesagt,
meine Liebe, daß du so rasch wie möglich heiraten möchtest?«
So geht er immer aus, der Streit mit
meinem Vater. Am Ende glaube auch ich, daß ich schuldig bin.
»Ich hab's gesagt«, gab ich zu und
schlug die Augen nieder. Während ich mit den Tränen kämpfte, dachte ich an
etwas, was so gerechtfertigt war, daß ich es auszusprechen wagte: »Schon gut,
aber werde ich dann nie wieder heiraten?«
»Ein Schwiegersohn, der dich nicht
von mir trennt, um mit dir in die Ferne zu ziehen, soll mir höchst willkommen
sein. Wer hält um dich an, wird er mit uns in diesem Hause wohnen?«
Ich schwieg. Wir wußten beide sehr
genau, daß mein Vater einen Schwiegersohn, der hier im Hause lebte, niemals achten
und ganz allmählich zugrunde richten würde. Als »Mann, der ins Haus der Braut
einzog«, wie er einen solchen Schwiegersohn abfällig nannte, würde ihn Vater
auf eine so feine, füchsische Art verächtlich behandeln, daß ich nicht den
geringsten Wunsch hätte, mich einem solchen Mann hinzugeben.
»Du weißt, daß es für dich in deiner
Lage ohne Einverständnis deines Vaters nahezu unmöglich ist zu heiraten, nicht
wahr? Ich will nicht, daß du heiratest, und gebe dir keine Erlaubnis.«
»Ich will meine Ehe lösen, nicht
heiraten!«
»Weil dich ein gedankenloser
Hohlkopf, der nichts weiter als nur seine eigenen Vorteile im Auge hat,
verletzen könnte. Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe, nicht wahr, mein ein
und alles. Wir müssen auch dieses Buch beenden.«
Ich sagte nichts. Hätte ich den Mund
aufgemacht, wäre dem Teufel mein Zorn gerade recht gekommen, um mich
anzustacheln und Vater ins Gesicht zu sagen, ich wisse genau, daß er Hayriye
nachts zu sich ins Bett hole, doch schickte es sich für eine Tochter wie mich,
ihrem alten Vater vorzuhalten, daß er sein Nachtlager mit einer Sklavin teilte?
»Wer möchte dich
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