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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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daran, daß er einst – es war wohl die Zeit, in
der das Buch der Künste entstand – mit einigen anderen in Streit geriet,
weil sie, um billiger und rascher zu ornamentieren, die Bräuche der alten
Meister mißachteten und die Ränder der Seiten, die wir Maler mit so viel Mühe
geschaffen hatten, durch schlechte Farben verdarben. Wer waren sie? Später aber
hieß es, die Feindschaft sei nicht dadurch entstanden, sondern wegen der Liebe
zu einem schönen Buchbinderlehrling im unteren Stockwerk. Das war allerdings
eine sehr alte Geschichte. Es gab auch jene, die dem Fein die zarte, fast
weibliche Art verübelten, doch hing dies mit noch anderen Dingen zusammen: So
war er zum Beispiel den alten Bräuchen sklavisch ergeben, achtete beim
Ornamentieren peinlich genau auf die Farbharmonie und wies im Beisein von
Altmeister Osman auf die angeblichen Fehler anderer Illustratoren – besonders
die meinen – in gezierter, neunmalkluger Weise hin. Bei seinem letzten Streit
war es um eine Sache gegangen, in der sich Altmeister Osman einmal sehr
empfindlich gezeigt hatte, und es hing mit den Arbeiten zusammen, die von den
Buchmalern des Sarays unterderhand geleistet wurden, all die kleinen
Bestellungen, die sie heimlich von außerhalb annahmen. Nachdem in den letzten
Jahren sowohl die Anteilnahme unseres Padischahs als auch die Geldgaben des Schatzmeisters
immer geringer wurden, begannen alle Illustratoren, die zweistöckigen
Landhäuser der neureichen, ungehobelten Paschas aufzusuchen, die besten Meister
unter ihnen aber gingen nachts zum Oheim.
    Ich nehme die Entscheidung des
Oheims unter dem Vorwand, es bringe Unglück, die Arbeit an dem Buch, unserem
Buch, einzustel len, keineswegs übel. Natürlich vermutet er, daß einer von
uns, die mit dem Ausschmücken des Buches beschäftigt sind, den spatzenhirnigen
Fein Efendi beseitigt hat. Wäret ihr an seiner Stelle, würdet ihr alle zwei
Wochen des Nachts einen Mörder ins Haus rufen, damit er Bilder malt? Oder
würdet ihr erst einmal darüber entscheiden, wer der wahre Mörder, welcher der
beste Buchmaler ist? Ich hege keine Zweifel, daß er in kurzer Zeit herausfinden
wird, welcher der Illustratoren, die ihn zu Hause aufsuchen, der fähigste ist,
vom Kolorieren bis zum Ornamentieren, vom Randziehen bis zum Malen, vom
Zeichnen der Gesichter bis zur Aufteilung der Seiten, und daß er dann nur noch
mit mir allein arbeiten will. Und ich glaube nicht, daß er so kleinlich sein
könnte, in mir nur einen Allerweltsmörder, nicht aber einen wahrhaft begabten
Illustrator zu sehen.
    Ich verfolge diesen törichten Kara
Efendi, den er mitgebracht hat, aus dem Augenwinkel. Und als die beiden den
Friedhof verließen und mit der sich zerstreuenden Trauergemeinde zum
Landungssteg in Eyüp hinuntergingen, folgte ich ihnen. Sie bestiegen ein Boot
mit vier Rudern, und kurz darauf nahm ich eines mit sechs Rudern, gemeinsam mit
den lachenden jungen Lehrlingen, die den Toten und das Begräbnis schon
vergessen hatten. Auf der Höhe von Fenerkapı schien es einen Augenblick,
als würden sich die Steven unserer Boote berühren, und ich konnte von nahem
erkennen, wie Kara und der Oheim miteinander flüsterten, was mich sofort wieder
auf den Gedanken brachte, wie leicht es ist, einen Menschen zu töten. Allahim,
Du hast uns allen diese unglaubliche Kraft gegeben, uns aber auch das Fürchten
gelehrt, damit wir vor ihrem Gebrauch zurückschrecken!
    Wenn der Mensch diese Furcht jedoch
einmal überwindet und zur Tat schreitet, dann wird er sogleich ein anderer.
Früher schrak ich nicht nur vor dem Satan zurück, sondern auch vor dem
leisesten Zeichen des Bösen in meinem Inneren. Jetzt aber empfinde ich das Böse
als eine erträgliche, ja für einen Illustrator sogar notwendige Sache.
Abgesehen vom Zittern meiner Hände nach dem Mord, das einige Tage anhielt,
fällt mir auf, daß ich besser zeichne, kräftiger und mutiger koloriere, seit
ich diesen elenden Wicht umgebracht habe, und, was noch wichtiger ist, daß
meine Vorstellungskraft Wunder vollbringt. Doch wie viele Personen gibt es in
Istanbul, die meine wundervollen Malereien zu würdigen wüßten?
    Auf der Höhe von Cibali, von der
Mitte des Goldenen Horns her, blickte ich voller Zorn auf Istanbul. Die
schneebedeckten Kuppeln glänzten hell in der Sonne, die plötzlich herauskam. Je
größer und farbiger eine Stadt ist, desto mehr Winkel hat sie zum Verbergen
unserer Schuld und Sünde, je volkreicher sie ist, desto mehr Menschen gibt es,
unter die

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