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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Wandern von einer Hand zur
anderen.
    Ich muß sagen – und bin stolz darauf
–, daß ich die meiste dieser Zeit in Istanbul umherstreifte, von Beutel zu
Beutel, von der Schärpe zur Jackentasche, wie es sich für eine kluge Münze wie
mich gehört. Mein Alptraum, in einem irdenen Krug zu landen und jahrelang
unter einem Stein vergraben zu liegen, ist mir zwar nicht erspart geblieben,
aber diese qualvollen Perioden hielten, warum auch immer, nie lange an. Die
meisten Menschen, die mich in die Hand bekamen, und besonders jene, die
merkten, daß ich unecht bin, wollten mich, so schnell es ging, wieder
loswerden. Noch bin ich keinem begegnet, der einen Käufer gewarnt hätte, daß
ich minderwertig bin. Diejenigen aber, die das nicht erkannten und einhundertzwanzig
Asper für mich auf die Hand zählten, schlugen sich, sobald sie es entdeckten,
in Anfällen von Wut, Verzweiflung und Ungeduld so lange an Kopf und Brust, bis
sie einen anderen übers Ohr hauen und mich loswerden konnten. Obwohl sie
während dieser Krisen viele Male versuchten, sich selbst und andere zu betrügen
(Hast und Wut verhinderten stets den Erfolg), beschimpften sie den Mann, der
mich ihnen verkauft und sie hereingelegt hatte, stets von ganzem Herzen als
»schamlos!«.
    Ich habe im Lauf dieser letzten
sieben Jahre fünfhundertsechzigmal den Besitzer gewechselt in Istanbul, und es
gibt kein Haus, keinen Laden, keinen Markt, keine Moschee, Kirche oder
Synagoge, in die ich nicht hineingekommen wäre. Je weiter ich herumkam, desto
mehr Gerüchte hörte ich über mich, frei erfundene Legenden und Lügen, viel
mehr, als ich für möglich gehalten hätte. Alles sei wertlos, außer mir, ich
sei gnadenlos, auch ich liebte nur das Geld, leider sei die Welt auf mir
errichtet worden, für mich sei alles käuflich, schmutzig sei ich, gemein und
niederträchtig – all das rieb man mir ständig unter die Nase. Wer meine
Falschheit erkannte, wurde noch wütender und warf mir noch Schlimmeres vor. Je
mehr mein echter Geldwert sank, desto höher stieg mein metaphorischer Wert.
Doch trotz all dieser grausamen Vergleiche und gedankenlosen Anschuldigungen
sah ich, daß mich der größte Teil des Volkes mit einer von Herzen kommenden
Leidenschaft liebt. Und so meine ich, in dieser lieblosen Zeit ist eine so
herzliche, ja, überströmende Zuneigung etwas, was uns alle erfreuen sollte.
    Jeden Winkel von Istanbul habe ich
Straße um Straße, Viertel um Viertel gesehen, jede Hand kennengelernt, von der
des Juden bis zu der des Abchasen, von der des Arabers bis zu der des Mingreliers.
Einmal bin ich im Geldbeutel eines Hodschas, der aus Edirne kam und nach Manisa
reisen wollte, aus Istanbul herausgekommen. Als uns Räuber den Weg abschnitten
und »Geld oder Leben!« riefen, stopfte uns der arme Hodscha in heller
Aufregung in sein hinteres Loch. Hier stank es noch mehr als in dem Mund des
Knoblauchliebhabers, und es war äußerst ungemütlich dort. Aber gleich darauf
wurde alles noch schlimmer, weil die Banditen nicht mehr »Geld oder Leben!«
sagten, sondern »Ehre oder Leben!« und sich den armen Hodscha der Reihe nach
vornahmen. Was wir in dem kleinen Loch durchmachen mußten, will ich euch lieber
nicht erzählen. Aus diesem Grund liegt mir überhaupt nichts daran, Istanbul zu
verlassen!
    Hier wurde ich immer geliebt. Die
jungen Mädchen küßten mich, als sei ich der Ehemann ihrer Träume, sie
versteckten mich in samtenen Beuteln, unter den Kissen, zwischen ihren riesigen
Brüsten, in ihren Unterhosen, und sie tasteten nach mir im Schlaf, um zu
prüfen, ob ich noch dort war. Ich wurde unter dem Rand des Heizkessels in einem
Hamam, in einem Stiefel, in einem Laden voll herrlicher Düfte am Boden einer
kleinen Flasche und von einem Koch in der Geheimtasche seines Linsensacks
versteckt. In einem Gürtel aus Kamelleder, in vielfarbig schillerndem
ägyptischen Futter, in tuchgefütterten Schuhen und in den diskreten Falten
bunter Schalware bin ich überall in Istanbul umhergewandert. Der Uhrmachermeister
Petro steckte mich in ein Geheimfach seiner Pendeluhr, ein griechischer Krämer
geradewegs in seinen Kascharkäse; gemeinsam mit Siegeln, Juwelen und Schlüsseln
verbarg ich mich tuchumhüllt in Rauchabzügen und Herden, unter Fensterbänken,
zwischen strohgefüllten Sitzkissen, in den Geheimfächern der Wandgelasse und
Truhen. Ich habe Väter erlebt, die sich immer wieder während der Mahlzeit
erhoben und nachschauten, ob ich wohl noch in meinem Versteck war, Frauen, die
mich

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