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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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fränkischen Meister
malen lasse, habe jener diesen Gedanken zunächst zurückgewiesen.
    »Das Eigentliche ist die
Geschichte«, habe der Padischah gesagt. »Ein schönes Bild ergänzt die
Geschichte auf noble Weise. Versuche ich, mir ein Bild vorzustellen, das keine
Ergänzung des Erzählten ist, dann meine ich, es müsse am Ende zum Götzenbild
werden. Denn wenn es keine Geschichte gibt, an die wir glauben, würden wir an
das Bild selbst glauben. Das wäre dann wie mit den Götzenbildern, die an der
Kaaba angebetet wurden, ehe unser Prophet sie zerschlagen ließ. Wie willst du
zum Beispiel diese Nelke oder auch diesen hochnäsigen Zwerg abbilden, wenn sie
nicht Teil einer Geschichte wären?«
    »Indem ich ihre Schönheit, ihre
Einzigartigkeit hervorhebe.«
    »Und dann wirst du sie bei der
Gestaltung des Blattes in das Zentrum des Kosmos setzen?«
    »Gefürchtet habe ich mich«, erklärte
mir mein Oheim. »Als ich sah, wohin mich die Gedanken unseres Sultans führen
würden, war ich plötzlich erschrocken.«
    Ich ahnte, wie er sich davor
fürchtete, daß ihm etwas anderes als das von Allah Gewollte wert schien, im
Mittelpunkt der Welt und somit dem des Blatt Papiers zu stehen.
    »Dann willst du das Bild, in dessen
Mittelpunkt du einen Zwerg gestellt hast, an die Wand hängen«, hatte der
Padischah gesagt was mir meine Ahnung von der Furcht des Oheims bestätigte.
»Aber man hängt ein Bild nicht an die Wand. Denn was wir auch immer damit
bezwecken, nach einer Weile werden wir beginnen, das Bild anzubeten, das wir an
die Wand gehängt haben. Wenn ich, wie's die Ungläubigen tun, daran glauben
würde, daß – Allah bewahre! – der heilige Jesus zugleich auch Allah ist, dann
wäre es mir begreiflich, daß man Allah in der Welt erblicken, ja, daß Er sich
im Menschen offenbaren könnte, und ich könnte es billigen, daß man sich ein
Bild vom Menschen macht und es an der Wand aufhängt. Es ist dir doch klar, daß
man am Ende, ohne es zu gewahren, damit beginnen wird, jedes Bild an der Wand
zu verehren, nicht wahr?«
    »Das verstand ich nur allzugut«,
sagte der Oheim zu mir, »und weil ich's verstanden hatte, fürchtete ich mich
vor dem, woran wir gemeinsam dachten.«
    »Aus diesem Grund kann ich nicht
billigen, daß man mein Bild an die Wand hängt«, hatte der Padischah erklärt.
    Jetzt war die Reihe an mir, mich zu
fürchten.
    »Dennoch möchte ich, daß man ein
Bild von mir nach Art der fränkischen Meister anfertigt«, hatte der Sultan dann
geäußert. »Jenes Bild muß zwischen den Seiten eines Buches verborgen sein. Und
du wirst mir sagen, wie ein solches Buch beschaffen sein soll.«
    »Einen Augenblick lang dachte ich
nach, überrascht und voll Bewunderung«, erzählte der Oheim. Dann lächelte er
mich so ähnlich wie kurz zuvor mit einem teuflischen Ausdruck an, und ich
glaubte fast, er habe sich plötzlich in jemand anderes verwandelt.
    »Unser hochverehrter Padischah
befahl mir, sofort mit dem Buch zu beginnen. Mir wurde schwindlig vor Glück.
Seinem Auftrag gemäß sollte es ein Geschenk für den Dogen von Venedig sein, zu
dem er mich erneut entsenden wollte. Das Buch sollte – so sein Wunsch – nach
Fertigstellung im Jahre tausend des Kalenders der Hedschra ein Zeugnis sein für
die siegreiche Macht des Kalifen des Islam, unseres hochverehrten Padischahs.
Damit jedoch die Absicht einer Verständigung mit den Venezianern nicht bekannt
werde und um Eifersüchteleien innerhalb der Buchmalerwerkstatt zu vermeiden,
trug er mir auf, die Arbeiten an dem Buch im geheimen zu betreiben. So begann
ich beglückt und in aller Heimlichkeit, die Bilder malen zu lassen.«

21
  Ich bin euer Oheim
    Und so begann ich, ihm am Freitag morgen zu
erklären, wie das Buch beschaffen sein würde, in dem das Bild unseres
Padischahs im Stil der fränkischen Meister einen Platz einnehmen sollte. Ich
ging von derselben Geschichte aus, die ich dem Sultan erzählt und mit der ich ihn
zu dem Buch überredet hatte. Insgeheim aber wollte ich erreichen, daß Kara die
Geschichten zu den Bildseiten verfaßte, die ich noch immer nicht hatte
schreiben können.
    Die meisten der Bilder für das Buch
seien vollendet, erklärte ich, auch das letzte sei fast fertiggestellt. »Es
gibt das Bild vom Tod«, sprach ich weiter, »auch das Bild des Baumes, das ich
den klugen Illustrator Storch anfertigen hieß, um in meinem Buch zu zeigen,
welch ein friedlicher Ort das Reich unseres Padischahs ist, es gibt das Bild
des Satans, auch das des Pferdes,

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