Pamuk, Orhan
Grabes befand sich auch der Fürst, der einem soeben heiter, ausgelassen und
stolzerfüllt die Bilder an den Wänden seines Palastes gezeigt hatte. Später
mußte man auf einem Wandbild, das die Heilung der Kranken durch den Schatten
des heiligen Petrus zeigte, zu seiner großen Enttäuschung entdecken, daß der
unglückselige Leidende, der sich am Rande des Bildes vor Schmerzen wand,
niemand anders war als der vor Gesundheit strotzende Bruder des höflichen Hausherrn.
Und am folgenden Tag betrachtete man ein Bild von der Auferstehung der Toten
und erkannte in einer Leiche seinen Tischnachbarn, der sich kurz zuvor beim
Mittagsmahl den Magen reichlich vollgeschlagen hatte.
»Manche treiben die Dinge so weit«,
sagte mein Oheim, als spräche er voller Furcht von der Faszination durch den
Satan, »daß sie bereit sind, einen Knecht darzustellen, der in der Menschenmenge
auf dem Bild die Trinkbecher füllt, oder einen Erbarmungslosen, der eine
Ehebrecherin steinigt, oder sogar einen blutbefleckten Mörder, nur um auf dem
Gemälde zu erscheinen.«
Ich tat, als verstünde ich es nicht,
und sagte: »Das ist genau dasselbe wie in den Büchern von den alten persischen
Legenden, wo wir Schah Ismail auf dem Thron sehen. Oder auch wie in der Geschichte
von Hüsrev und Şirin, in der wir dem Abbild Timurs begegnen, der doch
erst lange nach ihnen herrschte.«
Hatte es irgendwo im Haus geraschelt?
»Es scheint aber, als würden diese
fränkischen Bilder gefertigt, um uns einzuschüchtern«, sagte der Oheim dann.
»Doch sie schüchtern uns nicht nur mit der Macht und dem Reichtum derer ein,
die sie in Auftrag geben. Darüber hinaus versuchen sie, uns glauben zu machen,
es sei ein höchst eigenes Geheimnis, auf dieser Welt zu sein. Sie wollen uns
mit der Einmaligkeit ihrer Gesichter, ihrer Augen, ihrer Haltung und ihrer
Kleider, deren jede einzelne Falte Schatten wirft, als Beispiel eines
unverwechselbaren Wesens einschüchtern.«
Er schilderte, wie er einmal
überwältigt gewesen war von einer Bildersammlung aller berühmten Gesichter der
fränkischen Geschichte, aller Könige, Kardinäle, Soldaten und Dichter, die ein
närrischer Liebhaber als einen prachtvollen Garten der Bildnisse in den Räumen
seines weitläufigen Landsitzes an den Ufern des Comer Sees angelegt hatte. »Als
ich meinem freundlichen Gastgeber sagte, ich würde gern ein wenig für mich in
den Zimmern des Hauses herumwandern, die er mir voller Stolz gezeigt hatte,
ließ er mich allein, und da erkannte ich, daß diese sogenannten
Respektspersonen der Ungläubigen, von denen die meisten so wirklich erschienen
und so mancher mir direkt in die Augen sah, allein durch ihr Porträt in Persönlichkeiten
verwandelt worden waren, die in dieser Welt ein größeres Gewicht besaßen. Das
Malen ihrer Bildnisse hatte ihnen eine Magie verliehen, sie so einzigartig
werden lassen, daß ich mich selbst für einen Augenblick inmitten der Bilder
machtlos und voller Mängel fühlte. Es war, als ob ich den Grund für mein Dasein
hier in der Welt eher begreifen würde, wenn ich mich auf jene Art und Weise
abbilden ließe.«
Er habe sogleich verstanden, daß die
Malweise des Islam, welche die alten Meister von Herat so vollkommen und unveränderlich
gestaltet hatten, durch die Neigung zum Porträt ein Ende finden würde, und sei
über sein Begehren erschrocken gewesen. »Doch mir war auch, als ob ich mich
anders als jeder andere, unterschiedlich und unvergleichbar fühlen wollte«,
erklärte er. So habe er ein starkes Verlangen gespürt, das ihn hinzog zu dem,
was er fürchtete, ganz so, als ob der Satan ihn zur Sünde verleiten wollte.
»Wie soll ich's sagen, es schien ein sündiger Wunsch zu sein, sich gleichsam
vor Allah zu erhöhen, sich selbst eine Bedeutung zu geben, sich in den
Mittelpunkt der Welt zu stellen.«
Später sei ihm aufgegangen, daß man
diese unter den Händen der fränkischen Meister zu einer Art hochmütigem
Kinderspiel umgemünzte Sache, wenn man sie unserem hochverehrten Padischah
vortrug, von ihrer Magie befreien und in eine rechtmäßige Kraft verwandeln
könnte, die auf jeden Betrachter wirken und unserem Glauben dienlich sein
würde.
Und dabei habe er den Einfall
gehabt, ein Buch anfertigen zu lassen, in welchem die Bilder unseres
großmächtigen Herrn und seiner Attribute ihren Platz finden sollten. Doch als
der Oheim nach der Heimkehr von der Reise Seiner Majestät, unserem Padischah,
erklärte, wie gut es doch sei, wenn er sich nach Art der
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