Pamuk, Orhan
welches uns in die Ferne trägt; es gibt den
stets hinterlistigen und klugen Hund, die Münze ... All dies habe ich von den
Meistern der Buchmalerwerkstatt auf so schöne Art abbilden lassen«, erklärte
ich Kara, »daß du bei ihrem Anblick sogleich sagen könntest, was dazu
geschrieben werden müßte. Dichtung und Bild, Farbe und Wort sind Geschwister,
wie du weißt.«
Ich fragte mich unterdessen, ob ich
ihm sagen sollte, er könne meine Tochter zur Frau nehmen. Würde er wohl mit uns
gemeinsam in diesem Haus wohnen? Dann aber dachte ich bei mir: Laß dich jetzt
nicht von dem kindlichen Ausdruck seines Gesichts, von der puren Aufmerksamkeit
täuschen, mit der er dir zuhört; er hofft, deine Şeküre zu bekommen und
fortzulaufen. Doch es gab niemanden sonst als Kara, der mein Buch für mich
vollenden könnte.
Nach der Heimkehr vom Freitagsgebet
brachte ich die Rede auf die Schatten, die größte Erfindung der italienischen
Meister für die Malerei. Ich sagte: »Wenn wir unser Bild so malen, als wären
wir draußen auf der Straße, als würden wir spazierengehen, stehenbleiben,
plaudern und die Welt betrachten, dann müssen wir lernen, wie es die
fränkischen Meister tun, das in unser Bild aufzunehmen, was auf den Straßen am
häufigsten zu sehen ist – den Schatten nämlich.«
»Wie aber könnte man den Schatten
abbilden?« fragte Kara.
Hin und wieder bemerkte ich, daß
mein Neffe ungeduldig wurde, während er mir zuhörte. Er spielte manchmal mit
dem mongolischen Tintenfäßchen, das er mir mitgebracht hatte. Dann wieder
griff er nach dem Schürhaken und stocherte im Herd herum. Und manchmal stellte
ich mir vor, er wolle mich ermorden und mir mit dem Schürhaken den Kopf
einschlagen. Weil ich das Illustrieren von der Betrachtungsweise Allahs entfernen
würde. Weil ich die den Träumen der Herater Meister entsprungenen Bilder und
eine ganze Tradition des Illustrierens verraten würde. Weil ich auch unseren
Padischah dazu verleitet hatte. Manchmal saß er lange Zeit still da, ohne sich
zu rühren, und wandte seinen Blick nicht von dem meinen ab. Er schien zu
denken: Ich werde dein Sklave sein, bis ich deine Tochter erlange. Einmal ging
ich mit ihm in den Garten hinaus und versuchte ihn wie in der Kindheit auf
väterliche Weise über die Bäume, den Einfall des Lichts auf die Blätter, den
schmelzenden Schnee und über jene Logik zu belehren, der zufolge die Häuser unserer
Straße mit zunehmender Entfernung kleiner zu werden schienen. Doch ich hatte
mich geirrt – dies allein genügte, mir zu zeigen, daß jene Art von
Vater-Sohn-Beziehung, die einst zwischen uns bestanden hatte, schon längst
nicht mehr existierte. An die Stelle der Aufgeschlossenheit und heftigen
Wißbegier seiner Kindheit war die Geduld gegenüber dem Gewäsch eines senilen
Greises getreten, auf dessen Tochter er ein Auge geworfen hatte. Das Gewicht
und der Staub der Länder und Städte, durch die er zwölf Jahre lang gewandert
war, hatten von der Seele meines Neffen Besitz ergriffen. Er war noch müder
geworden als ich, und er tat mir leid. Ich dachte, er sei zornig auf mich.
Nicht nur, weil ich ihm Şeküre vor zwölf Jahren nicht zur Frau gegeben
hatte – das wäre unmöglich gewesen –, sondern weil ich mir Bilder erträumte,
die außerhalb der Arbeitsweise der moslemischen Illustratoren, der legendären
Meister von Herat lagen, und ihm beharrlich von diesem Unsinn erzählte. So
stellte ich mir vor, der Tod würde von seiner Hand kommen.
Doch ich fürchtete mich nicht vor
ihm, im Gegenteil, ich versuchte, ihn zu ängstigen. Denn ich spürte, daß seine
Furcht für den Text geeignet war, den er für mich aufsetzen sollte. Der Mensch
müsse sich wie auf jenen Bildern in den Mittelpunkt der Welt stellen können,
sagte ich und fügte hinzu: »Einer meiner Illustratoren hat mir den Tod auf
schöne Art und Weise gemalt. Würdest du dir das einmal anschauen?«
So begann ich, ihm meine Bilder zu
zeigen, die ich den Buchmalermeistern heimlich ein Jahr lang in Auftrag
gegeben hatte. Er war zuerst ein wenig befangen, ja er fürchtete sich sogar.
Doch als er sah, daß die Abbildung des Todes – sei es die Enthauptung des
Efrasiyabs oder des Siyavuş oder auch die Ermordung Suhrabs durch Rüstem,
der nicht weiß, daß jener sein Sohn ist – von den Sterbeszenen vieler Bücher
der Könige inspiriert war, vermochte er sofort auf das Thema einzugehen.
Auf einem der Blätter von der Grablegung des seligen Sultan Süleyman, die auf
mein Geheiß in
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