Pamuk, Orhan
traurigen, würdevollen Farben gemalt worden waren, gab es eine
Komposition im Stil der fränkischen Meister, und ich hatte versuchsweise mit
meinem Stift eine Schattierung hinzugefügt. Ich deutete auf die Horizontlinie
und die diabolische Tiefe, welche die Wolken miteinander vermischte. Und ich
wies darauf hin, daß auch hier der Tod, wie auf den Porträts der sich so sehr
um ihre Besonderheit bemühenden giaurischen Persönlichkeiten, die ich in den
Palästen von Venedig besichtigt hatte, als unverwechselbares Einzelschicksal
dargestellt war. »Sie wollen so einmalig und unvergleichbar sein, streben mit
aller Macht danach«, sagte ich, »daß man sich nicht vor dem Tod fürchtet – da,
schau ihm in die Augen! –, sondern vor der Heftigkeit ihres Wunsches, einzeln,
unverwechselbar und außergewöhnlich zu sein. Schau es dir an, das Bild, und
schreibe seine Geschichte. Laß ihn sprechen, den Tod, hier ist Papier und
Schreibzeug. Ich werde, was du schreibst, sogleich an den Kalligraphen
weitergeben.«
Schweigend betrachtete er eine
Zeitlang das Bild, um dann zu fragen: »Wer hat das gemalt?«
»Schmetterling. Er ist der
Begabteste. Altmeister Osman hat ihn viele Jahre geliebt und bewundert.«
»Ein ähnliches Bild, aber viel
gröber gezeichnet als dieses Bild von einem Hund, habe ich in dem Kaffeehaus
gesehen, wo der meddah die Geschichte erzählte«, sagte Kara.
»Die meisten meiner Illustratoren,
die sich dem Geiste Meister Osmans und der Buchmalerwerkstatt verbunden fühlen,
sind nicht von dem überzeugt, was sie für mein Buch illustrieren. Ich kann mir
gut vorstellen, wie sie um Mitternacht von hier fortgehen und sich dann im
Kaffeehaus lustig machen über mich und die Bilder, die sie für Geld fertigen.
Einmal hat unser Padischah von einem jungen venezianischen Maler, den ich
zwingen mußte, von der Gesandtschaft mit mir zu kommen, sein eigenes Bildnis
malen lassen. Dann trug er Meister Osman auf, ein gleiches Bild wie jenes Ölgemälde
nach eigener Manier anzufertigen. Meister Osman, der zur Nachahmung des
venezianischen Malers gezwungen wurde, machte mich für diese häßliche Nötigung,
für dieses beschämende Bild, das er malen mußte, verantwortlich. Recht hatte
er!«
Den ganzen Tag lang zeigte ich ihm
alle meine Bilder außer jenem, das ich immer noch nicht hatte vollenden lassen
können, und spornte ihn dazu an, die Geschichten dazu zu verfassen, erwähnte
auch die Wesenszüge der Illustratoren und zählte die Gelder auf, die ich ihnen
gegeben hatte. Wir sprachen über die Perspektive, darüber, ob es Unglaube sei
oder nicht, die Dinge im Hintergrund des Bildes zunehmend kleiner
darzustellen, aber auch darüber, ob man den armen Fein Efendi wohl aus Geldgier
und Ehrgeiz umgebracht hatte.
Als sich Kara nachts auf den Heimweg
machte, war ich mir ganz sicher, daß er wie versprochen am folgenden Morgen
wiederkommen und sich alles weitere über mein Buch anhören würde. Während ich
vor der offenen Tür dem Verklingen der sich entfernenden Schritte lauschte, war
irgend etwas in der kalten Nacht zu spüren, was meinen schlaf- und ruhelosen
Mörder mächtiger und diabolischer als mich und mein Buch machte.
Mit aller Sorgfalt schloß ich die
Tür hinter ihm fest zu, stellte davor wie jede Nacht den alten Wasserkübel, in
dem ich jetzt Basilikum zog, doch bevor ich die Herdglut mit Asche bedeckte
und zu Bett ging, erblickte ich plötzlich Şeküre vor mir in einem weißen
Nachtkleid, das sie im Dunkeln wie ein Gespenst erscheinen ließ.
»Bist du endgültig entschlossen,
diesen Mann zu ehelichen?« fragte ich sie.
»Nein, Väterchen, den Gedanken an
Heirat habe ich schon längst aufgegeben. Außerdem bin ich verheiratet.«
»Wenn du ihn immer noch zum Mann
nehmen möchtest, kann ich's dir nunmehr erlauben.«
»Ich will ihn nicht heiraten.«
»Warum?«
»Weil Ihr's nicht wollt. Einen, der
Euch nicht genehm ist, kann ich nicht von Herzen wollen.«
Mit einemmal sah ich den Widerschein
der Herdglut in ihren Augen. Sie waren nicht vom Unglück, sondern vor Zorn
feucht geworden, doch in Şeküres Stimme lag keine Bitterkeit.
»Kara liebt dich sehr«, sagte ich,
als gäb ich ein Geheimnis preis.
»Ich weiß.«
»Nicht aus Liebe zur Buchmalerei hat
er mir den ganzen Tag lang zugehört, sondern aus Liebe zu dir.«
»Er wird doch Euer Buch vollenden,
nur das ist wichtig.«
»Dein Ehemann wird eines Tages
zurückkehren«, sagte ich.
»Ich weiß nicht, warum, vielleicht
der Stille wegen, aber heute
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