Pamuk, Orhan
manchmal, wenn er die Wirklichkeit zum Ausdruck bringt, wie sie ist, zur
Unaufrichtigkeit verführt wird. Das beste Beispiel können vielleicht die
Illustratoren sein, unter denen uns einer als Mörder verunsichert: Wie sehr
auch das makelloseste Abbild, sagen wir, eines Pferdes, einem wirklichen, einem
von Allah mit Sorgfalt erdachten Pferd und den Pferden der großen Altmeister
des Illustrierens gleicht, sowenig mögen die echten Gefühle unseres höchst
talentierten Meisters dem Bild im Augenblick des Malens angemessen sein. Das
Echte in dem Maler oder auch in uns, den schlichten Knechten Allahs, zeigt sich
nicht in Zeiten der Kunstfertigkeit und Vollkommenheit, sondern im Gegenteil
dann, wenn uns die Zunge entgleist, wenn wir Fehler machen, schwach sind oder
Bitteres erleben. Ich sage dies der Damen wegen, die enttäuscht sehen, daß
sich ein sinnverwirrendes Verlangen – sagen wir – nach einer kupferhäutigen
Kazvinschen Schönheit mit feinem Gesicht und Purpurlippen, während ich auf
Reisen war, nicht von dem Verlangen unterschieden hat, das ich Şeküre
gegenüber in jenem Augenblick empfand. Wie es denn meine liebe Şeküre auch
fühlte:
Dank ihrer gottgegebenen tiefen
Lebensweisheit und ihres wachen Ahnungsvermögens hat sie begriffen, daß ich
einerseits ihretwegen zwölf Jahre lang purer chinesischer Folter
vergleichbaren Liebesqualen ausgesetzt war, andererseits aber auch wie ein
elender Lüstling handeln konnte, der nur blindlings und so schnell wie möglich
sein dunkles Verlangen befriedigen wollte, als sie ihm nach zwölf Jahren das
erstemal allein gegenüberstand. Nizami vergleicht den Mund Şirins, der
Schönsten der Schönen, mit einem Tintenfäßchen voller Perlen.
Als die eifrigen Hunde wieder mit
aller Kraft zu bellen begannen, wurde Şeküre unruhig und sagte: »Ich muß
jetzt gehen.« Da bemerkten wir beide, wie es im Haus des Gespensterjuden noch
vor der Abendstunde dunkel geworden war. Mein Körper bewegte sich von selbst,
um sie noch einmal zu umarmen, doch sie wechselte flink wie ein hüpfender Spatz
ihren Standort.
»Bin ich immer noch schön? Sag es
schnell!«
Ich sagte es, und wie schön sie
zuhörte und zustimmte und glaubte, was ich sagte.
»Und mein Kleid?«
Ich beschrieb es.
»Dufte ich gut?«
Şeküre wußte natürlich, daß die
von Nizami das Schachspiel der Liebe genannte Sache nicht aus solchen
Wortspielereien bestand, sondern aus den verschwiegenen Strömungen, die
zwischen den Seelen der Liebenden hin und her flossen.
»Wie hoch ist jetzt dein Einkommen?«
fragte sie. »Bist du imstande, für meine Waisen zu sorgen?«
Ich sprach von meinen mehr als zwölf
Jahre andauernden Unternehmungen in den Staats- und Sekretärgeschäften, von
den reichen Erfahrungen, die mir die Kriege und ihre Toten eingebracht hatten,
sprach von einer glänzenden Zukunft und nahm sie in den Arm.
»Wie schön wir einander vorhin
umarmt haben«, sagte sie. »Jetzt hat alles schon seinen ersten Reiz verloren.«
Um ihr meine Aufrichtigkeit zu
beweisen, drückte ich sie noch stärker an mich und fragte sie, warum sie das
vor zwölf Jahren für sie gemalte Bild bis jetzt aufbewahrt, mir nun aber nach
so langer Zeit durch Ester zurückgeschickt habe. Während mir ihre Augen
verrieten, daß sie sich über meine Torheit wunderte und sich Zärtlichkeit in
ihr regte, küßten wir uns. Diesmal war ich nicht der Sklave einer
schwindelerregenden Lüsternheit, sondern ich wurde erschüttert von den
kraftvollen, adlergleichen Flügelschlägen der Liebe, die uns beide ins Herz, in
die Brust, in den Magen, überallhin trafen. Ist nicht liebende Hingabe der
beste Weg, die Leidenschaft zu besänftigen?
Als ich nach ihren großen Brüsten
griff, schob mich Şeküre sanfter und fester entschlossen als zuvor
zurück. Ich sei kein so reifer Mann, daß ich mit einer vor der Heirat
befleckten Frau eine vertrauensvolle Ehe würde führen können. Ich vergäße,
weil mein Kopf in den Wolken schwebe, daß zuviel Eile nur Schaden bringe, und
ich hätte zuwenig Erfahrung, um zu wissen, wieviel an Geduld und Leiden vor
einer glücklichen Ehe ertragen werden müßten. Sie hatte sich aus meinen Armen
gewunden, ihren Batistschleier heruntergezogen und wandte sich der Tür zu. Als
ich durch die Türöffnung den Schnee erblickte, der im frühen Dunkel auf die
Straßen fiel, vergaß ich, daß wir hier nur geflüstert hatten – vielleicht, um
die Seele des gehenkten Juden nicht zu reizen –, und rief: »Und wie wird's
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