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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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stecken,
aber doch nicht ihr, Şeküre! Wie sie mir vorhielt in ihrer erzürnten
Phantasie, hatte ich mich von den Seitengassen der kleinen, heißen Städte
Arabiens bis zu den Ufern des Kaspischen Meeres, vom Land der Perser bis nach
Bagdad mit allem, was billig, jämmerlich und käuflich war, intim eingelassen,
hatte jeden Maßstab verloren und zudem vergessen, daß manche Frauen Anstand
besaßen, soviel stand fest. Das hieß, auch meine Liebesworte waren niemals
aufrichtig gewesen.
    Respektvoll hörte ich mir die Worte
meiner Geliebten an, die das schuldhafte Werkzeug in meiner Hand schrumpfen
ließen, schämte mich auch zur Genüge meines Zustandes und meiner Niederlage,
und doch gab es zwei Dinge, dich mich befriedigten: 1. hatte ich ihre
zornerfüllte Rede nicht mit einem zornigen Wortschwall gleicher Tonart
beantwortet, wie ich es sonst oft brutalerweise anderen Frauen gegenüber in
einer ähnlichen Lage getan hatte; 2. erkannte ich, daß Şeküre, da sie so
viel über meine Reisen wußte, weitaus mehr als vermutet an mich gedacht hatte.
    Doch schon war ihr Mitleid wach
geworden, als sie sah, wie sehr mich die Nichterfüllung meiner Wünsche
betrübte.
    »Wenn du mich wirklich so
leidenschaftlich liebtest«, sagte sie wie um Verzeihung bittend, »dann würdest
du Selbstzucht üben wie ein ehrenhafter Mann und außerdem nicht versuchen, die Würde
jener Frau zu verletzen, der gegenüber du ernsthafte Absichten hegst. Du bist
nicht der einzige, der Listen ersinnt, um mich zu heiraten. Hat dich irgend
jemand gesehen, als du herkamst?«
    »Nein.«
    Sie wandte ihr liebliches Gesicht,
an das ich mich zwölf Jahre lang nicht hatte erinnern können, der Tür zu, als
bewege sich etwas in dem dunklen, verschneiten Garten. Ein leises Knacken war
zu hören, wir schwiegen und warteten, doch niemand kam zur Tür herein. Mir fiel
jetzt wieder ein, wie Şeküre schon damals mit zwölf Jahren ein Gefühl des
Unheimlichen erweckte, weil sie mehr wußte als ich.
    »Der Geist
des gehenkten Juden geht hier um«, sagte sie.
    »Kommst du
nie hierher?«
    »Dämonen, Hexen, Gespenster – sie
kommen mit dem Wind, dringen in die Dinge ein, bringen die Stille zum Reden.
Alles spricht. Ich muß nicht unbedingt hierherkommen. Ich höre es.«
    »Şevket hat mich
hierhergebracht, um mir die tote Katze zu zeigen, doch sie war fort.«
    »Du sollst ihm gesagt haben, du
habest seinen Vater getötet.«
    »So habe ich das nicht gesagt. Habt
ihr darüber gesprochen? Ich wollte seinen Vater nicht umbringen, ich wollte
sein Vater sein.«
    »Warum hast du gesagt, du habest
seinen Vater umgebracht?«
    »Er hat zuerst gefragt, ob ich je
einen Menschen getötet hätte. Ich sagte ihm die Wahrheit, sagte, ich hätte zwei
Männer getötet.«
    »Um dich dessen zu rühmen?«
    »Sowohl aus diesem Grund, als auch,
um dem Jungen zu imponieren, dessen Mutter ich liebe. Denn ich habe begriffen,
daß die Mutter ihren kleinen Räubern die Kriegsbeute im Hause zeigt, das
Heldentum ihres Vaters übertreibt und sie auf diese Weise besänftigt.«
    »Dann rühme dich ruhig! Denn sie
mögen dich nicht.«
    »Şevket nicht, aber Orhan mag
mich«, sagte ich, stolz darauf, ihre Mutter bei einem Irrtum ertappt zu haben.
»Aber ich werde beiden ein Vater sein.«
    Plötzlich war es, als glitte der
Schatten von etwas nicht Existierendem im Halbdunkel zwischen uns hindurch,
und der Schreck ließ uns schaudern. Als ich mich wieder gefangen hatte,
schluchzte Şeküre leise.
    »Da ist noch Hasan, der Bruder
meines armen Ehemanns. Wir lebten, während ich auf die Rückkehr meines Ehemanns
wartete, mit ihm und meinem Schwiegervater in demselben Haus. Er hat sich in
mich verliebt. Jetzt ist er irgendwie argwöhnisch geworden, stellt sich vor,
daß ich jemanden – vielleicht dich – heiraten werde, und ist ganz außer sich
geraten. Er ließ mir die Nachricht zukommen, daß er mich mit Gewalt nach Hause
holen will. Sie würden mich zwangsweise im Namen meines Ehemanns zu jenem Haus
zurückbringen, sagen sie, weil ich vor dem Kadi keine Witwe bin. Jeden
Augenblick könnten sie bei uns eindringen. Auch mein Vater möchte nicht, daß
mich der Kadi zur Witwe erklärt, weil er meint, ich würde einen neuen Ehemann
finden und ihn verlassen, wenn ich wieder frei bin. In seiner Einsamkeit nach
dem Tod meiner Mutter war mein Vater sehr glücklich, als ich mit den Kindern
zu ihm zurückkam. Würdest du bei uns wohnen?«
    »Wie?«
    »Wenn wir heiraten, würdest du mit
uns allen, auch mit meinem

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