Pandablues: Roman (German Edition)
Charlotte, jetzt reiß dich mal zusammen und hilf deiner Freundin!
Die nächsten Minuten liefen irgendwie in Slow-Motion ab.
Trine atmete tapfer und stieß zwischendurch lange, gellende Töne aus. Sie erinnerten mich an den Paarungsruf des gemeinen Delfins, den ich mal auf einem Last-Minute-Segeltörn im Mittelmeer gehört hatte. Abwechselnd zu den grellen Tönen wetterte sie wilde Hass-Tiraden auf Paul, auf ihr vorhandenes und ihr fast vorhandenes Kind, fremde Kinder und auf die Welt im Allgemeinen.
Melitta wetterte tatkräftig mit und feuerte Trine zwischendurch mit den Kommandos »Pressen! Hecheln, hecheln!« an. Derweil fummelte sie noch immer mit dem Handtuch rum und behielt den Geburtskanal im Auge.
Ich hielt Trines Hand in meiner linken, während ich mit der anderen, freien Hand immer wieder ihre verschwitzte Stirn mit einem Handtuchzipfel abtupfte.
Was ich von Finns Geburt noch wusste und noch nicht verdrängt hatte, war, dass sie damals sehr unkompliziert verlaufen war. Ich hoffte für Elmos Geburt dasselbe.
Nicht auszudenken, wenn …
»Das Köpfchen, jawoll!«, verkündete Melitta.
Als ich selbst einen Blick darauf warf, war es vollends um mich geschehen. Vor meinen Augen wurde es schwarz. Aus weiter Ferne hörte ich das Martinshorn des herannahenden Krankenwagens.
Wenige Augenblicke später wurde ich von einem Rettungssanitäter wieder ins Leben zurückgerufen: »Ah, junge Frau, da sind Sie ja wieder. Alles okay bei Ihnen?« Bevor ich überhaupt etwas erwidern konnte, maß er schon meinen Blutdruck.
»Der ist noch ein bisschen tief, aber das ist schon okay. Können Sie sich schon wieder setzen? Kommen Sie, wir versuchen das mal.« Er zog mich mit seiner Hand hoch. »Ah … Das klappt doch schon wieder prima.«
Als ich saß, sah ich, dass auch mit Trine und dem Baby alles in Ordnung zu sein schien. Die frischgebackene Mutter lag glücklich mit dem in mehrere Decken eingewickelten Elmo zwischen Melittas beiden größten Grünkohlköpfen.
»Sooo«, sagte der Notarzt zu ihr, »das sieht ja alles so weit ganz gut aus. Wir müssen Sie und den Kleinen dennoch mit in die Klinik nehmen, sodass nichts passieren kann.«
»Hmm«, antwortete Trine nur, ohne auch nur einen Blick von ihrem Baby zu wenden.
Im Gegensatz zu Finn, der rotblonde Haare und Sommersprossen hatte und ganz nach Trine kam, hatte Elmo fast weiße Haare. Sonst sah er ein bisschen blau, verschrumpelt und schmierig aus, aber das sagte ich Trine besser nicht. Und dass eine Geburt im Grünkohlbeet cooler war als in der Kurve nach Sommerloch, wagte ich auch zu bezweifeln.
Ganz verliebt sah Trine ihren zweiten Sohn an. »Ist er nicht wunderschön?«
»Ja, also er ist …« Ich überlegte. »Also ich finde ja, dass er ganz, ganz tolle Haare hat! Und so viele!«
Trine lächelte verzückt.
»So, das hätten wir also geschafft!« Melitta stemmte ihre Hände in die Hüfte, während sie den Arzt und die Sanis, die gerade ihre Sachen zusammenpackten, argwöhnisch beobachtete. »Und nun zu uns!« Melitta leuchtete erst mit der Taschenlampe ihr halb zerstörtes Grünkohlbeet ab – es waren nur noch wenige Köpfe unbeschädigt, denn auch die Männer in Weiß hatten wenig Rücksicht auf Melittas grünen Traum genommen. Dann leuchte sie Elmo an.
Er quakte leicht schnaufend vor sich hin. Die pausenlos endorphinausschüttende Trine blickte ihren Sohn verzückt an. Der Zwerg beschäftigte sie so sehr, dass es ihr immer noch nichts auszumachen schien, dass sie hier mitten in der Nacht in einem Grünkohlbeet lag.
»Ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich noch nicht viel erlebt hätte in meinem Leben«, sagte Melitta. »Als Nachkriegskind geboren, im Zweiten Weltkrieg geflüchtet, dann Gefangenschaft und Arbeitslager, und jedes Mal musste das Wenige, was wir besaßen, zurückgelassen werden, dann das Haus hier mit meinen eigenen Händen aus dem Boden stampfen …« Nun holte sie tief Luft. »Aber das, das hier … du meine Güte!« Jetzt leuchtete sie die beiden größten Grünkohlköpfe an, die am meisten in Mitleidenschaft genommen worden waren, bevor sie sich wieder Elmo zuwandte. »Mein Freundchen, für diesen Auftritt ziehe ich dir in ein paar Jahren die Ohren lang. Dass du mir ja deiner Mutter Freude machst und die Finger von den Drogen lässt und dem Alkohol und nicht mitten in der Nacht von der Polizeistation …«
Elmo wimmerte mit geschlossenen Augen aus den dicken Decken heraus, während Trine ihn angurrte und ihm gut
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