Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
uns gesagt, kommt sie nicht besonders gut damit zurecht. Du siehst ja, was hier los ist. Jedenfalls muss ich ihr helfen, so gut ich kann, sonst kriegt sie das Durcheinander nie in den Griff.«
Er blickte aus einem Fenster und betrachtete den nachtblauen Himmel und die Dächer, die sich vor ihm erstreckten. Erst gestern hatte er mit Lady Sarka über diese Dinge geredet. Sie hatte versucht, ihn zu beruhigen, aber er machte sich immer noch Sorgen.
»Sie muss erst noch lernen, mit ihren neuen Kräften umzugehen«, fuhr er fort. »Zwar ist sie stärker als Aziel, aber sie hat überhaupt keine Übung. Sie kann nicht mal richtig springen. Aber vielleicht sollte ich mir nicht so viele Gedanken machen. Sicher lernt sie es bald, so mächtig, wie sie ist. Und wenn sie erst mehr Übung hat, wird sie bestimmt eine gute Herrin der Träume.«
Jackon musste daran denken, was er bei seinem Spaziergang durch die Altstadt heute Morgen gesehen hatte. »Dumm ist nur, dass sich das ganze Durcheinander inzwischen auch auf die Wachwelt auswirkt. Die Leute schlafen nicht mehr richtig und werden immer gereizter. Die Miliz musste sogar schon ein paar ins Gefängnis werfen, weil sie sich auf der Kupferstraße geprügelt haben. Man traut sich kaum noch aus dem Haus. Aber wahrscheinlich legt sich das, wenn mit den Träumen wieder alles in Ordnung ist. Lady Sarka hat es mir jedenfalls versprochen.«
Es tat gut, Liam seine Sorgen anzuvertrauen. Und heute erschien Jackon die Präsenz seines Freundes in den Zimmern und Korridoren der Sternwarte besonders intensiv.
»Na ja, ich muss jetzt weiter. War schön, mit dir zu reden. In Zukunft komme ich wieder jede Nacht, versprochen. Und mach dir keine Sorgen wegen deines Seelenhauses. Ich kümmere mich darum, dass es nicht kaputt geht.«
Er legte seine Hand auf die Wand, wie er es immer tat, wenn er sich von Liam verabschiedete. Dann verließ er die Sternwarte.
Er beschloss, sich um die benachbarten Seelenhäuser zu kümmern, wenn er schon einmal da war. Sie zu reparieren funktionierte so ähnlich wie die Erschaffung von Träumen: Er musste sich nur genug konzentrieren, dann konnte er die Substanz der Seelenhäuser verändern. Auf diese Weise flickte er Risse und Löcher, schuf Kamine für die Boten und zerstörte wuchernde Gebäudeteile, die angrenzende Häuser bedrohten. Kurz darauf sah die Gasse wieder aus wie früher, und wenn die herumstreunenden Boten und Sammler nicht gewesen wären, hätte man glauben konnen, es sei alles in Ordnung. Leider würde es nicht so bleiben – vermutlich traten schon morgen neue Schäden auf.
Jackon seufzte und sprang.
Er landete im großen Saal des Palastes. Es überraschte ihn nicht, dass Lady Sarka nicht auf ihrem Thron saß. Meist hielt sie sich im höchsten Turm des Palasts auf und betrachtete die Stadt der Seelen – ihr neues Reich.
Um seine Kräfte zu schonen ging er zu Fuß. Er fand die runde Turmkammer leer vor – Wind pfiff um das Kuppeldach und ließ Silberstaub wie eine Heerschar winziger Feen vor den Spitzbogenfenstern tanzen. Der Reihe nach suchte er auch ihre anderen Lieblingsplätze ab, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken.
Ihm schwante Übles. Offenbar hatte sie wieder ohne ihn angefangen zu üben und sich in Schwierigkeiten gebracht.
In den vergangenen Wochen hatten Lady Sarka und er
die Rollen getauscht: Nun war er es, der sie ausbildete. Anfangs hatte Lady Sarka gedacht, sie könne ihre neu gewonnene Macht umgehend für ihre Zwecke nutzen, doch nach einer Reihe von verheerenden Fehlschlägen hatte sie widerstrebend eingesehen, dass sie noch nicht bereit dafür war. Zuerst musste sie lernen, sich in der Welt des Schlafes zurechtzufinden. Jackon brachte ihr bei, wie man seine Gedanken fokussierte, nachdem man eingeschlafen war. Wie man sprang. Wie man bestimmte Seelenhäuser und Orte fand. Da sie kein Traumwanderer war und ihr die natürliche Begabung fehlte, brauchte sie viel länger als er, um solche Dinge zu lernen – trotz der gewaltigen Macht, die sie besaß. Sie war wie ein Kind, das sich nicht einmal ohne fremde Hilfe anziehen konnte und gleichzeitig kräftig genug war, ein Haus zum Einsturz zu bringen.
Seit Jackon Nacht für Nacht mit ihr übte, war ihm klar geworden, wie außergewöhnlich seine Gabe war. Was er ihr beibrachte, war für ihn inzwischen so selbstverständlich, dass er nicht mehr darüber nachdachte. Für Lady Sarka dagegen bedeutete in den Traumlanden jeder Handgriff, jede Bewegung, sogar jeder konzentrierte
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