Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
Gedanke die größten Mühen.
Leider besaß sie keine Geduld. Sie wollte alles auf Anhieb schaffen, und wenn ihr das nicht gelang, wurde sie zornig. Fast jeden Tag wurde Jackon Opfer eines Wutanfalls, weil er darauf bestand, dass sie eine Übung wiederholte. Oder weil er ihre Ungeduld kritisierte. Oder weil sie keine Fortschritte machte.
Wenigstens musste er ihr nicht zeigen, wie man die Tür seines Seelenhauses aufspürte. Wenn sie einschlief, erschien ihre Seele nicht in ihrem Seelenhaus, sondern in Aziels Palast. Warum, wusste er nicht – es schien ein Aspekt ihrer neuen Kräfte zu sein. Innerhalb des Palastes konnte sie sich ohne Mühen bewegen. Schwierig wurde es nur, wenn sie das Gemäuer verließ.
Jackon seufzte zum zweiten Mal für heute, schloss die Augen und konzentrierte sich mit all seiner Willenskraft auf Lady Sarka.
Es war ein weiter Sprung. So weit, dass er bei der Landung vor Erschöpfung taumelte.
Er blinzelte die Benommenheit weg. Vereinzelte Seelenhäuser standen in seiner Nähe, und alle sahen sehr fremdartig aus. Die Straße führte aus der Stadt hinaus und verschwand in einer Wand aus Dunkelheit.
Hier war er also.
Es war noch nicht lange her, da hatte er gedacht, die Stadt der Seelen sei unendlich groß – oder zumindest so gewaltig, dass man niemals ihre Ränder erreichen konnte, so sehr man sich auch anstrengte. Irgendwann hatte er jedoch herausgefunden, dass das nicht stimmte. Zwar war die Stadt wirklich sehr, sehr groß – immerhin bestand sie aus den Seelenhäusern aller Menschen –, doch wenn man sich Mühe gab, konnte man mit einem beherzten Sprung zu ihren Randbereichen gelangen. Jenseits der Stadt erstreckten sich seltsame Landschaften, Hügel und Ebenen, die in ewiger Dunkelheit lagen. Die Stadt war folglich nur ein Teil der Traumlanden. Was sich in der Dunkelheit befand, wusste Jackon nicht – und wollte es auch gar nicht wissen. Die Finsternis verdichtete sich nach wenigen Schritten, bis sie so undurchdringlich wurde wie die Schwärze des Alls. Wenn man sie betrachtete, vernahm man nach einer Weile flüsternde Stimmen. Irgendetwas sagte Jackon, dass es nicht gut war, ihren lockenden Rufen zuzuhören, und er hielt sich von der unheimlichen Dunkelheit jenseits der Stadtgrenzen nach Möglichkeit fern.
Lady Sarka saß auf einer Mauer neben der Straße, reglos wie eine Statue. Ihr Blick ruhte auf der Schwärze, als könne sie darin etwas sehen, das ihm verborgen blieb.
Während sie hier saß, lag ihr Körper in ihrem Gemach in
Bradost und schlief. Es bereitete ihr viel weniger Mühe als Jackon, die Traumlanden zu betreten – wenn sie den Entschluss dazu gefasst hatte, legte sie sich einfach hin und schlief, ob sie müde war oder nicht. Ein weiteres Rätsel ihrer Macht.
In den vergangenen drei Wochen war sie kaum noch in der Wachwelt gewesen. Nur einmal am Tag stand sie für eine Stunde auf, um sich zu waschen und etwas zu essen. Die übrigen dreiundzwanzig Stunden lag sie wie tot auf ihrer Liege und versuchte, sich in den Traumlanden zurechtzufinden, wie besessen von dem Wunsch, endlich all das tun zu können, was auch Jackon tat. Umbra machte sich deswegen Sorgen um sie und hatte ihn gebeten, auf sie aufzupassen.
»Herrin«, sagte er respektvoll.
Sie gab mit keiner Regung zu verstehen, dass sie ihn bemerkt hatte.
Zögernd trat er neben sie. Die Macht der Traumlanden hatte ihre Schönheit noch vergrößert. Bisweilen war ihm, als wäre sie von einer leuchtenden Aura umgeben, einem engelsgleichen Licht, das mal golden und warm, mal schmerzhaft kalt wirkte.
Sie blickte ihn mit verschleierten Augen an und schien ihn nicht zu erkennen. Sie hatte sich wieder in der Unwirklichkeit der Träume verloren, weil es ihr nicht gelungen war, ihre Gedanken zu fokussieren. Das geschah ständig, wenn sie den Palast verließ.
»Ich bin’s, Jackon. Ihr müsst Euch konzentrieren. Ihr dürft nicht zulassen, dass Eure Gedanken abschweifen.«
Sie ergriff seine Hand und stand auf. Jackon zwang sie, ihn anzuschauen. Allmählich klärte sich ihr Blick.
»Wo bin ich?«
»Im Grenzland. Es ist alles in Ordnung«, fügte er hinzu, als sie die Wand aus Dunkelheit bemerkte. »Euch kann nichts geschehen. «
»Wie bin ich hierhergekommen?«
»Ein misslungener Sprung. Ihr müsst auf mich warten, bevor Ihr mit dem Üben anfangt.«
Sie ließ seine Hand los, ging einige Schritte auf die Dunkelheit zu und fuhr dann zu ihm herum. »Ich übe, wann es mir passt.«
»Darüber haben wir doch schon
Weitere Kostenlose Bücher