Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
für Lucien.«
»Das hast du also in den letzten Wochen getrieben. Seit du hier bist, hast du nichts anderes getan, als an diesem Messer zu arbeiten, richtig?« Umbra ließ ihren Schatten schrumpfen, und das Messer fiel klirrend zu Boden. Fluchend hob der Alchymist es auf, untersuchte, ob es beschädigt war, und ließ die Klinge in den Falten seiner Robe verschwinden. Anschließend ging er zur Zentrifuge und legte einen Hebel um, woraufhin das Gerät zur Ruhe kam.
»Wieso bist du überhaupt hier?«, knurrte er. »Ich hatte doch darum gebeten, nicht gestört zu werden.«
»Dreimal darfst du raten.«
»Du willst mir schon wieder Druck machen, was? Du bist zu früh dran. Die sechs Wochen sind noch nicht vorbei. Ich habe noch zwei Tage. Schau in den Kalender, wenn du mir nicht glaubst. Außerdem haben wir vereinbart, dass ihr den Doppelgänger erst bekommt, wenn ihr mir Lucien gebracht habt.«
»Das haben wir nicht vereinbart. Das hast du so entschieden. «
»Wie auch immer. Ohne Lucien kein Doppelgänger. Und da dieser jämmerliche Haufen, der sich Geheimpolizei nennt, nach wie vor keinen Schimmer hat, wo er sich verkrochen hat, sehe ich keine Veranlassung, mich zu beeilen.«
»Corvas’ Leute haben heute Morgen die Suche eingestellt«, sagte Umbra.
Torne starrte sie argwöhnisch an. »Muss ich das verstehen?«
»Lady Sarka hat entschieden, dass sie keinen Doppelgänger mehr braucht. Ich soll dir auszurichten, dass du entlassen bist.«
Zum ersten Mal erlebte Umbra den Alchymisten sprachlos. Dann blitzte Zorn in seinem gesunden Auge auf. »Ich nehme an, ihr Sinneswandel hat damit zu tun, dass sie neuerdings über die Traumlanden herrscht und sich jetzt für unbesiegbar hält. Du brauchst mich nicht so anzuglotzen – habt ihr erwartet, ihre Pfuscherei an den Träumen fällt niemandem auf? Aber wenn sie glaubt, sie wird mich so einfach los, irrt sie sich. Wir haben einen Vertrag. Einen V-e-r-t-r-a-g. Sie kann nicht davon zurücktreten, bloß weil sie gerade Lust darauf hat. Das ist rechtswidrig.«
»Mach dich nicht lächerlich. Sie ist die Herrscherin von Bradost. Sie kann tun, was sie will. Also, gehst du freiwillig, oder muss ich nachhelfen?«
»Ich gehe erst, wenn ich bekommen habe, was mir zusteht. «
Diesmal war es nicht ihr eigener Schatten, den Umbra wachsen ließ. Tornes Schatten dehnte sich aus, löste sich vom Boden und gewann Festigkeit. Mit schreckgeweiteten Augen wich der Alchymist zurück, stolperte über seinen Hocker und fiel hin. Ein rauchartiger Arm schlang sich wie ein Tentakel um seinen Hals. Mit tiefer Befriedigung sah Umbra dabei zu, wie er blau anlief.
Kurz bevor Torne erstickte, lößte sich der Schattenstrang auf. Röchelnd rang der Alchymist um Atem.
Umbra beugte sich zu ihm herunter. »Versteh das als Warnung. Beim nächsten Mal drücke ich fester und länger zu. Und jetzt steh auf. Ich will, dass du in zehn Minuten verschwunden bist.«
26
Lady Sarkas Geheimnis
J ackon landete auf dem Kopfsteinpflaster und blickte die Gasse hinab, in der Liams Seelenhaus stand.
Das Viertel war in einem schlechten Zustand. Die Seelenhäuser an der Straße verfielen zusehends. Jedes dritte wies klaffende Risse im Mauerwerk auf, Traumgestalten entwichen ins Freie, huschten schattenhaft an ihm vorbei oder drangen in fremde Träume ein. Eines war zu einem prächtigen Anwesen mit Türmen und mehreren Flügeln gewuchert und hatte sich in alle Richtungen ausgedehnt. Nicht mehr lange und es würde die benachbarten Gebäude beschädigen.
Zu allem Überfluss arbeiteten die Boten und Sammler immer schlechter. Nur noch höchstens die Hälfte kam ihren Aufgaben nach; die Übrigen krochen oder flatterten ziellos durch die Gassen.
Jackon biss sich auf die Lippe, scheuchte einige Träume in die Seelenhäuser zurück, aus denen sie geflohen waren, und wandte sich der anderen Straßenseite zu.
Liams Seelenhaus war noch da.
Er atmete auf und untersuchte die Sternwarte von allen Seiten. Zu seiner Erleichterung war sie trotz des Durcheinanders in den Träumen unversehrt. Er trat ein.
Eine Weile wanderte er schweigend durch die leeren Korridore. Er hatte ein schlechtes Gewissen, denn er hatte Liam ein Versprechen gegeben und es nicht gehalten.
»Entschuldige, dass ich so lange nicht da war«, sagte er. »Ich weiß, ich habe dir versprochen, jede Nacht herzukommen. Aber in den letzten Wochen gab es einfach so viel zu tun. Lady Sarka herrscht jetzt über die Träume … das heißt, sie versucht es, aber unter
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